Renate M. Paus

ist Supervisorin, Gruppenanalytikerin, Tanztherapeutin

und macht damit genau ihr Ding.

PV:
Okay, liebe Frau Paus, seit mehr als dreißig Jahren widmen Sie sich leidenschaftlich der Entwicklung und dem Wohlergehen von Menschen. Wird es Ihnen nicht manchmal zu viel?
RP:
Nein, jeder und jede hat eine eigene Geschichte. Ich vergleiche mich oft mit einer Archäologin, die aus der jeweiligen Lebensgeschichte die Mosaik-steinchen zusammenfügt, um zum Kern der Persönlichkeit zu kommen. Das Ende eines therapeutischen Prozesses ist oftmals wie eine Wiedergeburt und es macht Spaß verborgene Schätze ans Licht zu holen. Was ich schwierig finde ist der inzwischen häufiger auftretende negative Selbstbezug. Viele Menschen leben heute in einer Art Größenwahn, werden umgangssprachlich als Egoisten bezeichnet. Das erlebe ich sowohl in den Teamsupervision, als auch in der Gruppentherapie. Sie überschätzen sich selbst, sind unfähig sich einzufühlen, leicht kränkbar und kritikunfähig. Sie finden keine Verbindung mehr zu anderen. Gegenseitiger Respekt und Resonanz sind Fremdwörter. Das ermüdet mich manchmal, weil diese Menschen auf ihrem Egotrip in ihrem wahren Kern unerreichbar sind, immer etwas Besonderes sein müssen, sich in Gewinnerposen sudeln und dort verharren und erstarren. Sich dann auf eine Beziehung bzw. Partnerschaft einzulassen ist kaum möglich. Wer andererseits für sich sorgen, sich wertschätzen kann, Selbstvertrauen entwickelt, fähig ist Grenzen zu akzeptieren besitzt einen gesunden Egoismus. So ist in Zusammenarbeit mit den Entwicklungshelfern der Institutsname proEgo entstanden und bedeutet nichts anderes als die Stärkung des ICHs. Das ICH ist psychologisch gesehen ein abgegrenztes Individuum. Mein Credo: je ICH bezogener desto DU freundlicher.
PV:
Was hat Sie Tanztherapeutin werden lassen?
RP:
Ich vergleiche mich oft mit einer Archäologin, die aus der jeweiligen Lebensgeschichte die Mosaik-steinchen zusammenfügt, um zum Kern der Persönlichkeit zu kommen.
Das Wichtigste zuerst: ich bin eine leidenschaftliche Tänzerin. Tanzen ist meine Energiequelle. Standardtänze hat mir mein Vater beigebracht, als ich 13, 14 Jahre alt war. An jedem Sonntagmorgen wurde geübt. In meiner Ursprungsfamilie wurde viel gefeiert und getanzt, was ich natürlich fortführe. In den wilden Zeiten der 68iger löste man sich von den festgesetzten Tanzschritten, bewegte sich nach der Musik im eigenen Rhythmus, tanzte einfach! In der Bewegung spricht der Körper, lässt sich durch die Musik inspirieren, das „Korsett“ funktioniert nicht mehr. So auch in der Tanz-und Ausdruckstherapie. Zurück zu Ihrer Frage: zunächst waren es persönliche Gründe, als ich mit 50 Jahren in den Wechselzeiten die Lust und das Bedürfnis verspürte, nochmal etwas Neues zu wagen. In meiner langjährigen Berufserfahrung fiel mir seit längerem sowohl in Einzel- als auch Gruppensitzungen immer mehr auf, dass im Beratungsprozess neben der Sprache für die Klienten*innen ein weiteres Medium förderlich sein könnte, um den Gefühlen, dem Unbewußten näher auf die Spur zu kommen. Alles lässt sich kognitiv nicht klären. Schon bald entdeckte ich die für mich passende Form: eine Ausbildung zur Tanztherapeutin, wo ich als Quereinsteigerin mit meinen bisherigen Kompetenzen angenommen wurde. Sehr bald entdeckte ich in der praktischen Umsetzung die Chance, meine Kompetenzen zu verbinden, es war das i-Tüpfelchen meiner beruflichen Laufbahn, denn in der Tanz- und Ausdruckstherapie liegt der Fokus wie der Name sagt auf Therapie und Ausdruck in der Bewegung. Meine zusätzlichen Angebote in der Tanz-und Ausdruckstherapie fanden großen Zuspruch. So kreierte ich mein erstes Projekt für Frauen auf Zypern mit dem Thema: „Tanz der Wiedergeburt“. Ich arbeitete dort in einem Licht durchfluteten Raum mit offenem Blick auf das Meer, mehr ging nicht. Mit Lust und Leidenschaft konnten die Frauen und auch ich die weiblichen Potenziale wiederfinden und aufblühen lassen..
PV:
Was bringt der Tanz zutage, was die Sprache nicht schaffen kann?
RP:
Tanzen ist meine Energiequelle.
Kurz gesagt: Tanzen ist kreativer Ungehorsam. In der Bewegung im Tanz entsteht etwas neues Ungeahntes, ein Ausdruck der inneren Welt. Ich nenne ein Beispiel und denke da an eine Klientin, die sich aus ihrer Erstarrung nicht hinausbewegen, kaum einen Zugang zu ihren Gefühlen finden konnte. Ich kannte sie aus einem Gruppentherapeutischen Setting, wo es immer wieder um die viele Verbote aus ihrem Elternhaus ging. Sätze wie: „zeig dich nicht, wie siehst du denn aus, sei anständig“, wurden zusätzlich von negativen Blicken der Mutter begleitet, so dass sich im Unbewussten das Grundgefühl festsetzte im eigenen Körper „falsch“ zu sein. Ich lud sie zu einem Tanzworkshop mit Frauen ein, zu dem Thema: „Tanz, tanz aus der Reihe“, um sich in der Bewegung wahrzunehmen. Erhellend war für sie, dass es darum ging, Vertrauen in den eigenen Körper zu entwickeln, um so die innere Enge zu überwinden. Im Kontakt zu anderen konnte sie sich zeigen, die anhaftenden „Sätze“ verwandeln, anders als es ihr in den verbalen Gruppensitzungen möglich gewesen war.
PV:
Das heißt, der Körper kann mehr ausdrücken als die Sprache?
RP:
Der Körper betrügt nicht. Er drückt all das aus, was ich nicht kontrollieren kann, aktuelle Gefühle und Stimmungen und nicht zu vergessen: der Körper bekommt Aufmerksamkeit und Beachtung. In der Bewegung kann sich lösen was erstarrt, verborgen, verdrängt, verschüttet ist, denn „Wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht.“
PV:
Aber nur in einem geschützten Rahmen und nur nach einer Aufforderung, denn diese Frau, die Sie beschrieben haben, die würde ja in der Erstarrung bleiben, hätte sie nicht die Möglichkeit sich hier in der Bewegung zu öffnen.
RP:
Genau. Die Gruppen bestehen aus maximal 8 Teilnehmerinnen, das hat auch mit der Größe des Raumes hier zu tun. Auf Zypern arbeite ich mit größeren Gruppen, da mir dort ein viel größerer Raum zur Verfügung steht. Die Tanztherapeutischen Gruppen sind auf 1 Jahr festgelegt.
PV:
Gibt es Kriterien, wie Sie eine Gruppe besetzen?
RP:
Nein. Der Vorteil ist, dass ich die meisten Interessent*innen aus den Einzel-sitzungen bzw. Gruppentherapien kenne, das heißt, der Kontakt, die Beziehung schon vorhanden ist. Bei Anmeldungen von außen ist ein Vor-gespräch erforderlich.
PV:
Kann sich auch ein Mann dazu anmelden?
RP:
Ja, aber nur im Einzelsetting. Bei Männern ist das schwieriger, da stehen Unsicherheiten im Vordergrund, viele verbinden mit Tanz negative Erfahrungen aus der Tanzschulzeit. Es gab bisher wenig Anfragen. An den Workshops auf Kreta, in der Toscana und auf Zypern nehmen allerdings immer mehr Männer teil.
PV:
Meist wenden sich Menschen an Sie, die in einer Krise stecken. Hat jede Krise etwas Gutes?
RP:
Ja, eindeutig, weil es Wegkreuzungen sind. Da wissen Menschen oft nicht ob sie nach links oder rechts abbiegen, vorwärts oder rückwärts gehen sollen. Jeder Mensch braucht erstmal Sicherheit und das sichere Terrain zu verlassen, egal wie beschissen es ist, fördert die größte Angst zutage. In der Krise bietet eine Therapie eine sichere und tragende therapeutische Beziehung und ist oft der einzige, emotional bedeutsame Kontakt. Nicht alle vertrauen auf den Satz: wenn sich die eine Tür schließt öffnet sich eine andere.
PV:
Welcher Sinn könnte in der aktuellen Krise liegen, die uns alle betrifft?
RP:
Anzuhalten! Anzuhalten und nicht weiter von außen nach innen zu leben, sondern von innen nach außen. Sich selber zu fragen was mein Bedürfnis ist, wie gehe ich mit dieser Unzufriedenheit um? Wie gehe ich generell in meinem Leben mit Ungewissheit um. Gerade auch in der derzeitigen aktuellen Corona Krise. Darüber kann ich lernen auch mit zukünftigen Krisen gelassen umzugehen.
PV:
Wenn alles gut läuft, darf ich dann trotzdem mal unglücklich, unzufrieden, frustriert oder gar ängstlich sein oder habe ich dann gefälligst zufrieden zu sein?
RP:
So denkend würden Sie wieder in ein normatives Korsett gepresst und wieder in Ihre mögliche Kindheitsgeschichte zurückgeworfen, in der Sie sich nicht frei entfalten konnten, weil Eltern Kinder nun mal erziehen und bestimmen.
PV:
Macht Alleinsein automatisch unglücklich?
RP:
Nein.
PV:
Machen Beziehungen automatisch glücklich?
RP:
Nein. Diejenigen, die in Beziehungen sind wünschen sich oft allein zu sein und die allein sind wünschen sich oft in Beziehung zu sein. Partnerschaft wird ja häufig idealisiert...
PV:
Lernen Menschen aus ihrem Glück oder ihrem Unglück?
RP:
Ja, beides. Die Frage ist, was sie lernen, wie bereit sie sind zu reflektieren.
PV:
Haben Sie das Gefühl, dass die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren, eher zu- oder eher abnimmt?
RP:
Die Menschen, die hierhin kommen, wollen reflektieren, aber wissen noch nicht wie. Sie kommen mit dem Bewusstsein: „Ich weiß nicht mehr weiter, weil.., da ist etwas, was mich umtreibt, mir schlaflose Nächten bereitet. Ich bin nicht mehr bei mir“! Das ist ja schon der erste Schritt, um zu reflektieren, sonst würden sie ja weiter machen wie bisher. Was ihnen fehlt, ist ein konstantes, zugewandtes, unterstützendes Gegenüber.
PV:
Das bedeutet?
RP:
Mit Lust und Leidenschaft konnten die Frauen und auch ich die weiblichen Potenziale wiederfinden und aufblühen lassen...
Das Menschen kaum Resonanz erleben und auch geben, weder in Beziehungen noch im Alltag. Wir brauchen ein Antwort gebendes Gegenüber um ein ICH Gefühl zu entwickeln. Ein Kind braucht Resonanz, damit es Gefühle entwickeln kann. Ein Beispiel: das Kind weint, die Mutter antwortet: du bist traurig, was tut dir weh? Dadurch entsteht ein benennbares Gefühl und das Kind kann dann damit besser umgehen. Ein anderes Beispiel aus dem Alltag: ich war letztens in einem Geschäft und suchte Wanderschuhe. Ich erlebte eine sehr passende Beratung mit einer freundlichen, zugewandten, kompetenten Verkäuferin, was mich sehr erfreute. In meiner Art gab ihr direkt meinen Anerkennung bzw. die Resonanz, wie gut mir das getan hat. Diese Frau hat sich so darüber gefreut und war so dankbar. Es fällt mir leicht Resonanz zu geben, auch weil es das wichtigste im Kontakt ist.
PV:
Was ist der Grund, warum sie so selten gegeben wird?
RP:
Ich glaube, die meisten Menschen haben das inzwischen verlernt. Leider. Es fängt ja schon im Kindesalter an. Ein Kind baut einen Turm aus Holzklötzen, der Papa kommt nach Hause und sagt: „Setz noch mal ein Klötzchen darauf.“ und der kreative Turmbau fällt zusammen. Oder das Kind kommt mit einem gemalten Bild aus dem Kindergarten: „Mama, habe ich das nicht schön gemacht?“ Die Antwort: also die Tanne könntest du aber besser malen!“ Schon beginnt der Machtkampf, das Kind fühlt sich entwertet in seiner Kreativität, seinem Kern. Diese Entwertung führt dann zu einem mangelnden Selbst-bewusstsein. Diese negative Resonanz, die bei dem Kind das Gefühl auslöst die Dinge nicht gut genug gemacht zu haben, hinterlässt schmerzhafte Spuren. Leider geben viele Eltern den Kindern wenig Resonanz.
PV:
Was ist mit der Elterngeneration, die ihre Kinder ständig begeistert dafür lobt, wie toll sie sind?
RP:
Daraus entwickelt sich der schon erwähnte negative Selbstbezug.
PV:
Okay, also Menschen lernen aus ihrem Glück oder aus ihrem Unglück. Was tun Sie beispielsweise, um von einem weniger guten in einen guten Zustand zu kommen?
RP:
Früher bin ich Achterbahn gefahren, heute denke ich, na ja, die Talfahrt hat ja ihren Sinn und ich halte an. Ich halte an und frage mich: Was brauche ich denn jetzt, was tut mir jetzt gut? Und dabei suche ich nicht im Außen, sondern in mir. Brauche ich einen Spaziergang am Rhein, brauche ich eine Freundin, brauche ich meinen Mann, ein Buch, Musik, was brauche ich, was tut meiner Seele gut.
PV:
Haben Sie je schlechte Laune?
RP:
In der Bewegung kann sich lösen was erstarrt, verborgen, verdrängt, verschüttet ist.
Oh ja, das ist ja nur allzu menschlich. Schlechte Laune kriege ich, wenn ich nicht gut für mich sorge, wenn ich merke, jetzt habe ich mich selbst vergessen. Ein Beispiel: Corona Pandemie, erster Lockdown, alles stagniert, ist ungewiss. Wochenlang Stillstand, keine Gruppen, nur Telefon-Sitzungen, alles musste neu strukturiert werden, beruflich und privat. Mein Mann und ich haben dann vereinbart, dass ich mittags und abends koche. Ich koche gerne, leiden-schaftlich, ich liebe es, zu umsorgen. Also überrasche ich meinen Mann und Gäste mit kleinen Gaumenfreuden und liebevollen Gesten. Aber dann habe ich plötzlich gemerkt, upps, ich werde jetzt hier zur „nur“ Hausfrau, das ist nicht das, was ich wollte. Da habe ich dann gemerkt, für mich stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Ich hatte mich mit meinen Bedürfnissen vernachlässigt. Die Lösung: der Nachmittag gehört mir und abends bleibt die Küche kalt. Zu Ihrer Frage: wenn sich der Bewertungsteufel einschleicht, ich Entscheidungen im Alltag hinauszögere, dann kriege ich auch schlechte Laune.
PV:
Was ist wichtiger im Leben, Liebe oder Kompromissbereitschaft?
RP:
Liebe! Liebe ist ein Gefühl, eine Sicherheit, ein Grundempfinden, z.B. wenn man als Paar im Alltag räumlich getrennt ist, bleibt man dennoch psychisch verbunden oder anders ausgedrückt ist man als Paar getrennt und verbunden zugleich, die Liebe bleibt im Hintergrund. Zu zweit allein zu sein ist etwas Wunderbares. Absolute Hingabe in der Liebe gibt es für mich nur im Augenblick, da brauche ich keinen Kompromiss. Liebe ist so ein großes Wort, in der Pubertät habe ich danach gelechzt, bis ich verstanden habe, es ist der Augenblick der Liebe, der mich berührt. Die Liebe zum eigenen Kind empfinde ich allerdings als die größte, sie ist bedingungslos.
PV:
Wie kann man jungen Menschen die Bedeutung von Selbstliebe und Selbstwert klarmachen, wenn sie sich nicht geliebt und nicht wertgeschätzt fühlen?
RP:
Ich glaube, klarmachen geht gar nicht. Aber ich kann den jungen Menschen in einen Prozess hinein begleiten, in dem er lernt, sich zunächst selbst wahrzunehmen. Das braucht viel Selbsterfahrung und da sind Gruppen einfach ideal, weil sich in den Gruppen die Probleme und Konflikte abbilden, die das Leben blockieren, z.B. erlernte und unbefriedigende Beziehungsmuster. Diese können durch die „Spiegelung“ der Gruppe bearbeitet und korrigiert werden. Dadurch verbessert sich die Kommunikation und die Selbstwahrnehmung, was wiederum zur Reduzierung der Projektionen führen kann. Je mehr ich also erfahre, wie andere mich wahrnehmen, desto mehr kann ich meinen Selbstwert erkennen, stärken und den inneren Freiraum vergrößern. Danach erfolgt mehr Selbstliebe. Ich bin nicht umsonst Gruppenanalytikern geworden.
PV:
Sind Menschen heute offener für Therapien als sie zu Beginn Ihrer Arbeit waren?
RP:
Nein. Also, zu Beginn meiner Arbeit, 1984, waren die Menschen sehr bereit, sich in einen Veränderungsprozess zu begeben. Das ging einher mit viel politischer Reflektion und Auseinandersetzung, ich denke dabei an die Friedensdemonstration, die Emanzipationsbewegung der Frauen usw. Heute ist es auch deswegen schwieriger, weil das Gesundheitssystem, Sozialverbände, was z. B. Supervisionsangebote betrifft, wenig Unterstützung bieten und die Selbstzahler sehr zurückhaltend sind. Ich sage immer: „Sie bauen ein inneres Haus wenn Sie in die Therapie gehen. Das Fundament ist der Persönlichkeits-kern, den es zu entdecken gilt und die Wände haben die Stärke Ihres Selbstwertes. Das ist wichtig, um so leben zu können, wie Sie es wollen und wie es zu Ihnen passt.“
PV:
Sind Ihrer Meinung nach die Menschen heute therapiebedürftiger als 1984?
RP:
Ja. Das kann ich eindeutig so sagen, eben wegen der schon erwähnten, stetig wachsenden negativen Selbstbezogenheit. Da ist Therapie sehr hilfreich, jemand neutrales von außen, der draufschaut, sich einfühlt aber auch konfrontiert, jemand der in unsicheren Zeiten Sicherheit bietet, konstant zur Verfügung steht.
PV:
Wann raten Sie Menschen zu Einzelsitzungen und wann zur Gruppe, gibt es da eine klar benennbare Linie?
RP:
Bei Männern ist das schwieriger, da stehen Unsicherheiten im Vordergrund.
Bei den Einzelsitzungen biete ich erst mal fünf Sitzungen an, um anamnestisch herauszufiltern, wo die Bruchstellen in der jeweiligen Lebensgeschichte liegen. Nach fünf Sitzungen wird dann gemeinsam reflektiert und nach weiteren Möglichkeiten gesucht, ob das Einzelsetting bleibt oder eine Gruppentherapie oder eine Selbsterfahrungsgruppe passender wären. Das hängt immer vom Prozess bzw. den Bedürfnisses ab. Alleinstehenden Menschen empfehle ich die Gruppe, weil sie sich oftmals nicht auf Beziehungen einlassen können. Auch im Gruppensetting ist das Hauptthema immer wieder Beziehung. Und in der Gruppe lerne ich durch die Selbst- und Fremdwahrnehmung, wie mich die anderen erfahren. Deswegen laufen unsere Toskana Seminarangebote schon seit 25 Jahren sehr gut. Dieser inspirierende Rahmen dort, alle Teilnehmer*innen leben in sogenannten Fattorien (Gutshöfen), bietet neue Erfahrungsräume mit anderen und mit sich selbst. Jeden Tag finden zwei Gruppensitzungen statt, um zu reflektieren was im Hier und Jetzt passiert ist. Das ist sehr spannend und erkenntnisreich für alle Beteiligten.
PV:
Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der Sie fragt, ob es sich lohnt Therapeut zu werden?
RP:
Es lohnt sich immer, wenn ich meine Talente und Fähigkeiten im Berufsleben einsetzen kann. Die Frage wäre für mich, warum er Therapeut werden will. Ich sage das, weil viele meinen, dass sie ihre persönlichen Probleme durch eine Ausbildung zum Therapeuten lösen könnten, was natürlich ein Trugschluss ist.
PV:
Welche Qualitäten fordert der Beruf des Therapeuten?
RP:
Neben der erlernten, erarbeiteten Professionalität: Intuition, Empathie, Beziehungsfähigkeit, Bindungsfähigkeit, Autonomie, Authentizität, Spaß und Lust kreativ zu sein. Und wie singt Ina Deter so passend: „..mit Leidenschaft will ich`s erleben.“
PV:
Wie wichtig ist gesunder Menschenverstand?
RP:
Sehr wichtig. Ein Beispiel: Ich bin auf dem Land groß geworden. Meine Eltern stammen beide aus Großfamilien, hatten ein Lebensmittelgeschäft, einen sogenannten „Tante Emma“ Laden, d.h. es gab für mich als als Kind schon immer viel Kontakt durch häufige Familienfeiern und die Kundschaft. Dadurch habe ich gelernt, mich auf Menschen einzulassen und meine Kontaktfreudigkeit und soziale Kompetenz entwickelt. Die Resonanz meiner Klienten dazu ist: „Sie sprechen eine Sprache, die ich verstehen kann oder Sie nennen die Dinge beim Namen oder Sie bringen es auf den Punkt“. In meinen Interventionen biete ich gerne Bilder an. Als Beispiel: Sie können ihr Unbehagen, Ihr Problem in Einmachgläser füllen und konservieren, in den Keller stellen bis zum Abfalldatum oder Sie können erforschen, warum das so ist, was das bedeutet, worin die Ursache für diese Unzufriedenheit liegt. Ich arbeite gerne mit Bildern, Metaphern, die oft sehr hilfreich sind und gerne angenommen werden.
PV:
Was an Ihrem Beruf, Ihrem Tun, macht Sie zufrieden oder gar glücklich?
RP:
Die Menschen, die hierhin kommen, wollen reflektieren, aber wissen noch nicht wie.
Dass ich Menschen anbieten kann auf ihrem Lebensschiff das Steuer bewusst selbst in die Hand zu nehmen, mal die Segel zu wechseln oder einen anderen Kurs einzuschlagen und dann zu sehen, wie sich der- bzw. diejenige durch den inneren Wandlungsprozess entwickelt. Oder, wenn ich an den Verwicklungen einer Lebensgeschichte arbeite und die Frau oder der Mann sich von ihren Verwicklungen befreit haben, vom „Korsett“ der Moral, Normen und Lebensverbote, dann steht da vor mir eine wunderschöne, aufrecht stehende Frau oder ein toller Mann, der präsent ist und sich nicht mehr verbiegt, das ist ein Hochgefühl verbunden mit Dankbarkeit.
PV:
Würden Sie tauschen, gibt es einen Beruf der noch toller wäre?
RP:
Nein, eindeutig nein. Diese Kombination in meiner Berufswahl, mit den drei Professionen, die sind ist es, die mein Leben bereichern.
PV:
Woran glauben Sie in Ihrem Leben?
RP:
Meinen wichtigsten Lebenssäulen sind Glaube, Hoffnung und Liebe, die mich in jeder Lebenssituation begleiten und Zuversicht geben. Ich glaube an das Göttliche in jedem Menschen, auch in mir. Ich glaube an sogenannte Zufälle, ich glaube an das Gute im Menschen. Ich glaube, dass jeder Mensch einen Lebenskelch, ein Füllhorn bekommt und entscheiden kann, wie gefüllt der sein soll. Meiner quillt schon über
PV:
Gibt es denn Menschen, die sich für einen leereren Lebenskelch entscheiden?
RP:
Entscheiden nicht, aber viele verhalten sich so. Ich biete oft das Bild an, dass wir Menschen unseren Lebenskelch oder unser Füllhorn mit Blüten füllen können, symbolisch gesehen mit den Blüten der Erkenntnis, der Erfahrung und da fallen manche raus, weil sie überflüssig geworden sind und das wissen viele oft nicht. Warum muss ich mich immer an dem alten Scheiß, auf Deutsch gesagt, festhalten? Lieber die Energie darauf richten, was es noch an Blüten im Leben zu entdecken gibt.
PV:
Bleiben wir zu oft und zu lange im alten Scheiß hängen?
RP:
Viele, ja viele. „Ich kann das nicht, ich brauche das nicht, ich komme sowieso nicht auf einen grünen Zweig, ich kriege keine Beziehung hin, ich mache eh alles falsch, aus mir wird ganz sicher nichts, ich hab ja doch keine Chance, ich trau mich nicht.“ Ja, das Neue macht Angst, das Neue ist wie Glatteis, ich weiß nicht, ob ich das schaffe und da brauche ich professionelle Wegbegleiter*innen, um genau dahin zu kommen wohin ich hingehöre, wie schon gesagt, zum eigenen inneren Kern.
PV:
Gibt es bei Ihnen etwas Neues?
RP:
Ja, mein erstes Buch. Ich habe es zusammen mit meinem Mann geschrieben. Der Titel: AMOR UND PSYCHE. Vielleicht erinnern Sie sich, als Sie mir vor langer Zeit einmal sagten, ich solle schreiben. Ja, ich schreibe gerne, vielleicht ist das ja tanzen mit Worten. Meine Tochter Celia hat sich von mir gewünscht, dass ich, wie sie sagt, „meine spannende und erlebnisreiche Lebensgeschichte“ aufschreibe. Somit habe ich mit meiner Biografie begonnen und bin inzwischen bei 300 Seiten. Sobald es wieder möglich ist fahre ich eine Woche nach Korfu, in meine Schreibwerkstatt, d.h. in ein Appartement mit Blick auf das Meer, was mich immer wieder sehr inspiriert.
PV:
Dann wünschen wir Ihnen gutes Gelingen und viel Freude am Tun. Und vielen Dank fürs Mitmachen.
RP:
Gerne, sehr, sehr gerne. Und bleiben SIE weiterhin beschützt in diesen unwäg-baren Zeiten.
 
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http://www.proego.net

 



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