Laurenz Berges

Er ist freischaffender Künstler, Fotograf und Chronist...

...was bedeutet, dass er für seine Arbeit einen langen Atem braucht. Den hat er und viel Freude daran.

PV:
Herr Berges, die Presse ordnet Sie der fotografischen Arte Povera zu und spricht davon, dass ihr Werk vor allem die Vergänglichkeit thematisiert. Stimmen Sie dem zu?
LB:
Ja, das kann man so sagen, aber das ist ja eh die Eigenart der Fotografie. Fotografie beschäftigt sich immer mit der Vergänglichkeit, zwangsläufig durch das momenthafte der Fotografie. Das hat sie mit dem Film gemeinsam, bloß, es wird einem nicht bei allen Fotos so bewusst. Aber Zeit und Vergänglichkeit spielen immer eine Rolle in der Fotografie.
PV:
Sie haben bei Becher studiert, wie haben Sie da Ihren Weg gefunden?
LB:
Fotografie beschäftigt sich immer mit der Vergänglichkeit
Das ist eine längere Geschichte und die letzte Station war durchaus der Bernd Becher, aber nicht die ausschließlich wichtige, obwohl immer schnell darauf reduziert wird, weil die Bechers so prominent sind. Ich wollte schon als Jugendlicher Fotograf werden, habe mich intensiv mit Zeitschriften, Fotos und Kunstkatalogen beschäftigt und bei der Neue Osnabrücker Zeitung als Lokalreporter angefangen. Dann habe ich ein Praktikum bei der Fotoagentur Visum in Hamburg gemacht und anschließend in Essen studiert. Zwischendurch war ich ein Jahr Assistent von Evelin Hofer in New York, was sehr prägend war. Danach habe ich das Studium in Essen abgeschlossen, hatte eine Freundschaft zu dem verstorbenen Fotografen Michael Schmidt aus Berlin, habe mich in Düsseldorf an der Kunstakademie beworben und das war dann die letzte Ausbildungsstation. Alles davon war wichtig, um meinen Weg zu finden.
PV:
Wie ging es weiter?
LB:
Während der Zeit in Essen fand ich das Thema, das ich dann in Düsseldorf weiterverfolgt habe und mein erstes Buch wurde. Die aufgelassenen Kasernen der Westgruppe der Roten Armee nach der Wende. Damit habe ich mich mehrere Jahre beschäftigt.
PV:
Sie erzählen Geschichten über verlassene Gebäude, verlassene Räume, erzählen aber indirekt doch auch die Geschichten des Lebens, das darin stattgefunden hat, richtig?
LB:
Ja. Das interessiert mich.
PV:
Ist das ein Interesse an Geschichten oder an Geschichte?
LB:
Auf alle Fälle beides. Mein Lieblingsfach in der Schule und das einzige, in dem ich auch halbwegs passable Noten hatte, war Geschichte. Geschichte hat mich immer interessiert, Zeitgeschichte, Alltagsgeschichten, um daraus Schlüsse zu ziehen, warum sich bestimmte politische und gesellschaftliche Entwicklungen ergeben haben.
PV:
Ihre Bilder leben ja von der Komposition, ist Gestaltung oder Komposition auch etwas, was in Ihrem Leben stattfindet?
LB:
Ich versuche es.
PV:
Und Ihr Leben an sich, würden Sie das als gestaltet bezeichnen oder hat es sich so ergeben?
LB:
Das hat sich durch die Zwänge des Alltags ergeben. Als Fotograf muss man sich eine gewisse Struktur erarbeiten, eine Arbeitsstruktur. Das ist nicht so einfach, denn das muss jeder für sich entwickeln, das wird einem nicht beigebracht.
PV:
Sie haben gesagt, dass Fotografie sie schon früh interessiert hat, gab es ein Schlüsselerlebnis?
LB:
Ein Schlüsselerlebnis gab es nicht. Aber, ich habe schon davon profitiert, dass ich in meinem Elternhaus und im Haus meiner Großeltern gute Zeitschriften finden konnte. Es gab Magazine, die Zeitschriften wie DU und MAGNUM, das waren schöne, hochwertig gedruckte Magazine aus der Schweiz, es gab Fotobücher und Kunstbücher. Ein Buch, das ich sehr früh in die Finger bekommen habe, hieß: ‚Unser Jahrhundert im Bild‘, das hat mich total fasziniert. Bilder prägen sich bei mir viel stärker ein als Texte.
PV:
Gibt es etwas, dass Sie mit Ihrer Fotografie erreichen wollen, oder ist das eine Frage, die überhaupt gar keine Rolle spielt?
LB:
Doch, ich möchte natürlich, dass die Fotos gesehen werden, entweder in Buchform, in Ausstellungen, wie auch immer. Das alles macht ja nur Sinn, wenn es auch jemand sieht. Ich mach die Bilder natürlich erst mal nur für mich, auch in dem Moment der Arbeit, des Fotografierens. Da denke ich nicht an irgendwelche weiteren Verwendungen, da bin ich in dem Moment nur der, der eine Bildidee umsetzen will. Aber dann im zweiten, dritten Schritt möchte natürlich, dass die Arbeit eine Öffentlichkeit findet.
PV:
Gibt es auch Bilder von Ihnen, die Sie nicht mögen?
LB:
Ich wollte schon als Jugendlicher Fotograf werden
Ja. Sicher, jede Menge. Es ist ja so, ich arbeite mit der großen Kamera und da fotografiert man nicht wahllos vor sich hin, einfach aus technischen Gründen. Das Ding ist schwer, es ist teuer und es ist ein Aufwand, es aufzubauen. Aber dann gibt es immer wieder Bilder, die misslingen und das merke ich nicht sofort. Mein Produktionsprozess ist ja sehr langsam, ich muss ins Labor, dann habe ich die Filme, mache Kontaktbögen, schaue sie an, mache Markierungen und die, die mir gefallen werden als kleines Bild vergrößert. Da ich die Abzüge alle selber mache und die dann immer wieder durch meine Hände gehen, ist das und die Zeit eine gute Kontrolle. Der letzte Schritt ist ja der große Abzug und die Rahmung. Die Beurteilung der Bilder kann sich aber auch noch nach Jahren verändern.
PV:
Gibt es das denn auch umgekehrt, dass ein Foto in der Vergrößerungsstufe gewinnt, weil es jetzt das richtige Format hat?
LB:
Das gibt es auch. Die Größe des Formats spielt eine große Rolle.
PV:
Wie finden Sie Ihre Motive, fahren Sie durch die Gegend oder inspiriert Sie die aktuelle Presse?
LB:
Geschichte hat mich immer interessiert, Zeitgeschichte, Alltagsgeschichten, um daraus Schlüsse zu ziehen, warum sich bestimmte politische und gesellschaftliche Entwicklungen ergeben haben.
Das ist eine Mischung aus beidem und irgendwann gibt es einen besonderen Moment. Ich bin Anfang der 90er Jahre durch Ostdeutschland gereist und habe mir alles angesehen. Das war natürlich hoch spannend, ein echtes, großartiges Abenteuer, weil ich ja quasi ein unbekanntes Land bereisen konnte. Und weil ich natürlich deutsche Geschichte, auch Alltagsgeschichte, hautnah erleben konnte, war das extrem eindrücklich. Und in der Tat gab es ein Schlüsselerlebnis, als ich nördlich von Berlin eine verlassene Kaserne entdeckt habe, die ich ab dann immer wieder besucht habe. Die war schon zu Zeiten DDR aufgelassen und mir wurde bewusst, das ist so was Besonderes, das will ich weiterverfolgen. Damit hatte ich einen Rahmen, mit dem ich mich abgrenzen konnte gegenüber jenen klischeehaften Darstellungen, die zu dem ganzen Thema DDR und West-Ost nach der Wende gemacht wurden. Ich hatte eine räumliche Begrenzung gefunden, die mir half ganz tief in das Thema eintauchen zu können. Von da an habe ich unendlich viele Kasernen aufgesucht. Über eine halbe Million Soldaten der Westgruppe der Roten Armee waren ja in der kleinen DDR stationiert. Militärisch die weltweit am dichtesten besetzte Zone und das sind ja auch Orte aus der Kaiserzeit, der Nazizeit, die dann umfunktioniert wurden oder teilweise früher schon Kasernen waren. Das alles habe ich wirklich systematisch abgearbeitet. Ich bin jeden Gang entlanggelaufen, habe jeden Raum angesehen, jedes Stockwerk, überall wo ich Zugang hatte. Das ist schon sehr systematisch gewesen und bei meinem zweiten großen Thema, auf das ich durch die Presse und das mich treiben lassen gekommen bin, ist das Braunkohle-Tagebaugebiet. Ich begann diese Geisterdörfer zu fotografieren, Garzweiler, Etzweiler, Inden, Altdorf usw. Von 1998 bis 2004 habe ich daran gearbeitet und es ist auch ein Buch erschienen mit dem Titel „Etzweiler“. Wenn ich so ein Thema habe, verfolge ich es lange, weil das jedes Mal anders aussieht, je nach Wetter, Tageszeiten, Jahreszeiten. Es wird nie langweilig.
PV:
Wie groß ist Ihre eigene Freiheit? Wie weit dürfen Sie von Ihrer Art der Fotografie abweichen, erlauben Sie sich das?
LB:
Am Anfang war ich recht streng und habe vieles außen vorgelassen. Bei den Kasernen habe ich ausschließlich Innenräume fotografiert. Das hat sich später erweitert, als ich Blicke nach außen, Fensterblicke und die Landschaft fotografiert habe, um mehr zu erzählen. Bei meinen neueren Projekten habe ich auch unterschiedliche Lichtsituationen mit einbezogen. Bei den Kasernen gab es kein Kunstlicht, da war der Strom abgeschaltet, wie in Etzweiler im Übrigen auch. Aber bei Duisburg spielte das eben doch eine größere Rolle, die Bilder werden vielleicht, sage ich mal, etwas expressiver.
PV:
Wie lautet das Thema Ihrer neuen Motive?
LB:
Jetzt habe ich ein relativ überschaubares Thema, ich fotografiere ein Haus. Ich fotografiere im Siegerland ein kleines Dorf, das heißt Mudersbach und da steht das Haus vom Großvater vom Bernd Becher. Der hat das gebaut und dann lebten die Tanten von Bernd Becher darin. Er hat da zum Teil seine Jugend verbracht und hat das Haus später geerbt. Hillas Mutter lebte auch eine Weile da und jetzt gehört es dem Sohn, Max Becher. Dieses Haus, es ist so ein ganz kleines, bescheidenes Fachwerkhaus, was eigentlich kaum verändert wurde, ist die reinste Zeitreise. Da hängen noch die Kinderbilder von Bernd Becher vor dem zweiten Weltkrieg.
PV:
Ist Zufriedenheit mit dem Vollbrachten ein Thema für Sie?
LB:
Ich glaube, das ist so wie mit dem Glücklichsein. Es gibt Momente, einen schönen Tag, eine Situation, Momente der Zufriedenheit. Aber eigentlich interessiert mich das nicht.
PV:
Können Sie sich vorstellen, etwas ganz anderes zu machen?
LB:
Ich sage immer zu meinen Kollegen, wenn es mal nicht so gut läuft, für eine Umschulung ist es zu spät. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, ich habe auch nichts anderes gelernt. Ich muss weitermachen, es macht mir ja auch meistens Freude.
PV:
Würden Sie sagen, dass Sie leidenschaftlich bei der Sache sind?
LB:
Das bin ich schon. Aber der Beruf sollte nicht idealisiert werden.
PV:
Um Druck zu vermeiden?
LB:
Um Erwartungen flach zu halten und nicht auf Eingebungen zu warten.
PV:
Haben Sie in Ihrem Künstlerdasein auch Durststrecken erlebt?
LB:
Ja sicher.
PV:
Wie bewältigen Sie die?
LB:
Indem ich versuche sie einzuordnen. Zufriedenheit ist, glaube ich, eine schwierige Basis für eine künstlerische Arbeit. Andererseits bin ich natürlich froh, dass ich diesen Beruf ausüben kann. Da bin ich schon in einer glücklichen Situation.
PV:
Gibt es denn ein Rezept fürs Durchhalten?
LB:
Was hilft, muss wahrscheinlich jeder für sich selbst herausfinden. Mir hilft es immer weiterzuarbeiten. Obwohl es auch Kollegen gibt, die dann eine Zeit gar nichts machen und nur in sich hineinschauen und da eine Lösung finden. Bei mir ist es das Arbeiten. In meinem Beruf gibt es ja auch viele organisatorische und handwerkliche Arbeiten. Es ist nicht nur ein kreativer Prozess.
PV:
Gibt es jemanden, mit dem Sie sehr gerne, wenn auch nur kurz, mal tauschen würden?
LB:
Nein.
PV:
Wenn eines Ihrer Kinder ebenfalls Künstler oder Künstlerin werden will, was empfehlen Sie dann?
LB:
Also, das ist ein Beruf, den man nicht empfehlen kann, denn der Drang danach muss aus dem jungen Menschen selbst kommen, alles andere ist eine falsche Empfehlung. Der Ratschlag oder die Empfehlung, werde mal Künstler, ist so ziemlich das Blödeste, was man machen kann, vor allen Dingen als Eltern.
PV:
Würden Sie denn Ihr Kind unterstützen, wenn klar erkennbare Talente da wären?
LB:
Ja unbedingt. Meine Kinder haben ja mitbekommen, wie es ist, wenn der Vater Künstler ist und die Mutter Gestalterin, wir sind beide selbstständig. Da gibt es bei zwei Kindern schon eine gestalterische Neigung und Spaß an gestalterischen Dingen, aber es ist meiner Meinung nach ein sehr großer Unterschied ob man sagt, ich entscheide mich für einen Beruf, wo es um Gestaltung geht oder ich möchte Künstler werden, das sind zwei Paar Schuhe, das sind unterschiedliche Berufe und das sollte man auch nicht vermischen.
PV:
An welches Museum denken Sie, wenn Sie an die ultimative Ausstellung Ihrer Werke denken?
LB:
Schön sind Räume in Häusern, in denen die Bilder gut wirken können, weil die Proportionen, das Licht usw. stimmig sind und die Arbeit eben auch von vielen Besuchern wahrgenommen werden kann.
PV:
Und welche wären das?
LB:
Ich kann mir nichts anderes vorstellen, ich habe auch nichts anderes gelernt.
Das sind eher Gebäude, die gar nicht als Museum geplant waren, sondern ehemalige Wohnhäuser oder umgestaltete Gebäude. Zum Beispiel war ich sehr glücklich über einen Raum im ‚Huis Marseille‘ in Amsterdam. Das ist ein groß-bürgerliches Haus an der Prinsengracht und da wirkten die mittleren Formate sehr schön und kamen gut zur Geltung. Man hatte einen guten Zugang, der Raum hatte eine schöne Atmosphäre, das Licht war gut. Das ist ein Ort, an den ich mich gerne zurückerinnere, genau wie an die Ausstellung im Josef-Albers-Museum in Bottrop. Ich habe Vorstellungen, wo ich gerne in Zukunft ausstellen würde, aber entscheidender ist, ob die Ausstellung dann in den Räumen funktioniert und das weiß ich erst nachher, wenn die Bilder hängen.
PV:
Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie nicht arbeiten könnten für eine relativ lange Zeit?
LB:
Wahrscheinlich würde ich schwermütig werden, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich hatte mal ein dreimonatiges Stipendium in Italien, in Venedig, ein wunderbarer Ort. Aber ich bin durch die Stadt, Museen und Kirchen gelaufen und wusste nicht, wie ich mich damit in meiner Arbeit auseinandersetzen sollte. Und weil ich dort keinen richtigen Dreh gefunden und nur wenige Bilder gemacht habe, war ich schon recht frustriert. Ich muss selber aktiv sein, selber etwas machen.
PV:
Vielen Dank, Herr Berges, für das Gespräch.
 
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