Johannes Sitsen

DER RHYTHMUS MEINER ARBEIT IST FÜR MICH WIE MUSIK.

Weil sein Tun ihn ganz und gar erfüllt, hat Johannes Sitsen noch nie darüber nachgedacht etwas Anderes zu machen.

PV:
Johannes, die Entdeckung deiner Leidenschaft für den Metallbau liest sich wie der Beginn eines Jugendromans. Du warst zwölf Jahre alt und wolltest dir eine Speerspitze machen. Ein Schmied und Freund der Familie, Christoph M., ließ dich an den Amboss, allerdings unter der Bedingung, dass du vorher ein Praktikum bei ihm machen solltest. Das hast du. Und fortan warst du öfter bei ihm zu finden als in der Schule. Stimmt das?
JS:
Öfter als in der Schule ist übertrieben. Aber ich habe jede Möglichkeit genutzt in der Werkstatt zu helfen. Da war mir kein Nachmittag zu schade, kein Wochenende. Und das hat sich, bis ich die Schule verlassen habe, hingezogen. Auch während der Bundeswehrzeit war jeder Urlaub zum Arbeiten aufgehoben. Das hat mir große Freude gemacht und ich hatte in Christoph M. einfach einen guten Lehrer, der mir alles Wesentliche beigebracht hat und der mich für meine Arbeit entsprechend wertschätzte.
PV:
Irgendwann später kam dann die Meisterprüfung mit Auszeichnung dazu. Für was bist du ausgezeichnet worden?
JS:
Es werden grundsätzlich am Ende aller Meisterlehrgänge die Meister ausgezeichnet, die besser als mit der Note gut ihre Meisterprüfung abschließen. Und ich war aus dem gesamten Jahr von den Besten in meinem Fach der Beste.
PV:
Später kam dann die Selbständigkeit mit dem bedeutungsstarken Satz: die Freiheit nehme ich mir. Warst du immer schon Freigeist oder war die Selbständigkeit dein Ideal?
JS:
Ich war aus dem gesamten Jahr von den Besten in meinem Fach der Beste.
Wenn ich heute darüber nachdenke, und das tue ich immer wieder, dann muss ich sagen: ja, ich bin ein freier Geist. Das habe ich von zu Hause so mitbekommen. Auch da gibt es einen Vater der selbständig war, eine Mutter die selbständig ist. Und ich habe mich ungern in Gruppen eingeordnet. Ich war zwar dabei, aber ich habe dann doch immer geguckt, wie man Dinge anders machen kann als die Norm. Und so mache ich das bis heute.
PV:
Was hat dich so fasziniert, dass du zu einem Metallbauer der ganz eigenen Art geworden bist? Du bist in die Innenraumgestaltung gegangen, während die meisten Metallbauer das Außen bearbeiten?
JS:
Was liegt näher, als sich seine eigenen Möbel zu bauen, wenn man wenig Geld hat, aber eine gute Qualität haben möchte?
Das hat sich glücklicherweise ergeben, weil mein Schwiegervater viel Innendesign für Privatleute gemacht hat und ich die ersten Aufträge über ihn bekommen habe. Außerdem hat mich das Thema Möbel schon immer fasziniert. Was liegt näher, als sich seine eigenen Möbel zu bauen, wenn man wenig Geld hat, aber eine gute Qualität haben möchte? Dann habe ich relativ schnell erkannt, dass das in meinem Metier eine Nische ist. An den Zweiflern, die mir gesagt haben: im Bereich Metall brauchst du mit Möbeln gar nicht erst anfangen, da kommst du nicht weit, bin ich am Ende gewachsen und ich wollte natürlich auch das Gegenteil beweisen. Dabei gab es schon vor 10 Jahren einen riesigen Bedarf an der Verarbeitung von Metallen in hoher Qualität.
PV:
Das heißt, es war im Prinzip folgerichtig, dass andere gestaltende Berufe wie Architekten oder Ingenieure auf dich aufmerksam wurden?
JS:
Das hat sich ergeben. Ob das folgerichtig ist, weiß ich nicht. Es hätten auch Privatleute bleiben können. Aber dadurch, dass die Architekten mit mir auch einen guten Partner haben für ihre Ideen, die sie mit ihrer Kundschaft am Ende auch realisieren wollen, ist daraus mit wirklich allen eine dauerhafte Zusammenarbeit geworden.
PV:
Die Arbeiten die du machst sind sehr unterschiedlich und scheinen die Individualität deiner Kunden auszudrücken. Wie gelingt es dir, den Wünschen hinter den Menschen, die sich ja oft nicht besonders gut artikulieren können, gerecht zu werden?
JS:
Ich hab ein gutes Gefühl für Leute und ich kann gut zuhören, um dann aus all den Informationen, die manchmal wie ein Wasserfall aus den Leuten raussprudeln, das Entscheidende rauszufiltern. Am Ende habe ich dann offenbar ein sicheres Gespür dafür, was den Leuten gefallen könnte.
PV:
Immerhin sind das die zwei wesentlichen Dinge in der Kommunikation mit Menschen: sie erkennen und heraushören, was sie tatsächlich wollen.
JS:
Ja. Und natürlich auch das Einfließenlassen von eigenen Gedanken an und in Bezug zu Ort und Stelle, ohne dem Kunden/der Kundin etwas überstülpen zu wollen.
PV:
Erfährst du neben der Bezahlung dafür auch direkte Wertschätzung, denn es steckt ja von deiner Seite unglaublich viel Auseinandersetzung und Arbeit darin?
JS:
Ich hab ein gutes Gefühl für Leute und ich kann gut zuhören
Ja, in den meisten Fällen. Es gibt solche und solche. Mit der Zeit habe ich gelernt die auszusieben, die das alles nicht wirklich interessiert. Doch die Leute, die sich schon über einen gewissen Zeitraum mit Architekten oder auch alleine mit einem größeren Bauteil beschäftigen oder sei es auch nur ein Hocker, die wissen, dass das nicht ohne Weiteres herzustellen ist. Die kommen auch sehr gerne hierher. Ich lade sie zu mir ein, damit die sehen können, wo die Dinge entstehen. Da wird auch nichts geschönt. Bei unserer Arbeit entsteht nun mal viel Dreck und wir sehen auch oft so aus wie ich heute. Wenn die Leute sehen was alles notwendig ist, schätzen sie auch den Wert der Arbeit mehr und immer öfter höre ich den Satz: ach, hätte ich doch auch mal sowas gemacht.
PV:
WOW
JS:
Es stärkt die Kundenbeziehung, die dadurch oft sehr, sehr nett wird und das Verständnis für den Arbeitsaufwand macht das Bezahlen leichter. Interessant ist immer der erste Moment, wenn etwas fertig ist und es vor Ort montiert oder geliefert wird. Wenn man den Leuten dann in die Augen guckt, merkt man sofort, wir haben es getroffen oder nicht. Über Dinge, die vielleicht verbesserungswürdig sind, wird selbstverständlich auch gesprochen, auch von meiner Seite, und natürlich entsprechend nachgesteuert. Am Ende soll es allen Freude machen.
PV:
Wenn man die handwerklichen Besonderheiten deiner Arbeit betrachtet, sehen sie kostbar bis teuer aus. Muss ich reich sein, um dich beauftragen zu können?
JS:
Das mag für viele Bauteile, die wir gebaut haben, stimmen. Aber ich habe auch nie die Tür vor Leuten verschlossen, die einen Sinn für die Dinge, aber nur ein kleines Budget haben. Dann liegt das Spannende darin, für dieses Budget trotzdem eine passende Lösung zu finden. Das war von Anfang an Teil meiner Arbeit. Da sind alle willkommen.
PV:
Betrachtest du deine Arbeit als Kunst? Oder ist es Kunsthandwerk?
JS:
Wenn die Leute sehen was alles notwendig ist, schätzen sie auch den Wert der Arbeit mehr.
Das ist schwer auseinanderzuhalten. Außenstehende sagen oft, dass es teilweise Kunst ist, was ich mache. Weil ich vielleicht wirklich deutlich anders mit meinem Material umgehe und auch immer wieder neue Dinge versuche. Ich habe einfach eine riesige Werkzeugkiste in mir angehäuft. Und mit dem Gefühl, das ich für das Material habe, ist es einfach immer wieder schön neu zu denken. Ich bin Handwerker. Ich gehe konstruktiv an einen Entwurf heran. Ich bin nicht derjenige, der vorab eine klare Vision des Endproduktes hat. Wie das Ergebnis aussieht ergibt sich aus dem Entwurf und dem Einbringen der vorgegebenen Parameter, die das Bauteil erfüllen soll. Dabei ist immer schon der Gedanke: wie kann ich es umsetzen, wie kann ich es bauen?
PV:
Hast du bei dem Material mit dem du arbeitest, ein Lieblingsmaterial?
JS:
Nein. Es sind alles tolle Materialien. Bedeutsam ist welchen Zweck das Material gerade erfüllen muss. Und danach gibt es eine Auswahl.
PV:
Welche Rolle spielt Ästhetik in deiner Arbeit?
JS:
Ja, sie spielt eine Rolle, aber ich kann sie ja nicht an irgendwas festmachen. Das ist reines Gefühl.
PV:
Gut, aber würdest du sagen, dass du ein gutes Gespür für Ästhetik hast und für Stimmigkeit?
JS:
Ja. Mir wurden gewisse Grundlagen beigebracht, tatsächlich auch durch den Schmied und durch meinen Vater, der auch eine gestalterische Tätigkeit hatte. Und durch das Umfeld, in dem ich groß geworden bin. Man hatte ein Bewusstsein für die guten und schönen Dinge, die aber auch eine lange Lebensdauer hatten und bis heute dastehen. Form und Funktion waren wichtig und sind für mich ganz normal geworden.
PV:
Alte Schule also, wie Bauhaus oder Louis Henry Sullivan, der den Satz prägte: form follows function?
JS:
Bauhaus kenne ich, seit meiner Kindheit. Wir waren nicht oft in Museen, aber es gab Bücher, in denen wir als Kinder schon rumgeblättert und die Ästhetik vielleicht einfach mit aufgesogen haben. Ich bin neugierig auf viel Neues und der Austausch mit Leuten, die einen künstlerischen Hintergrund haben, bereichert mich. Das schafft eine Annäherung, aber ich komme nicht daher. Es treffen sich zwei Welten, die einander sowohl bedingen als auch verstehen müssen. Dann kann etwas spannendes Neues entstehen.
PV:
Was ganz Anderes. Wärst du lieber ein Tier in der freien Wildnis oder eines hinter wunderschön gearbeiteten Metallstäben?
JS:
Na auf jeden Fall in der Wildnis. So war ich schon als Kind und bin es immer noch. Wenn alles nichts wird, dann gehe ich in die Wildnis.
PV:
Bist du ein größerer Menschenfreund als andere?
JS:
Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich bin ein großer Menschenfreund.
PV:
Gibt es etwas, was du dir von deinen Kunden wünschst?
JS:
Nein. Die Kunden, mit denen ich die großen und spannenden Sachen mache und natürlich auch die kleinen, da passt alles zusammen.
PV:
Behältst du dir vor zu einem Auftrag auch nein zu sagen?
JS:
Das muss ich. Und das muss ich auch nach wie vor noch lernen. Zum Start meiner Selbständigkeit habe ich mich natürlich auf alles gestürzt, was sich angeboten hat. Mittlerweile kann ich auswählen. Das ist auch sehr nötig, um ein gewisses Qualitätsniveau zu halten.
PV:
Gibt es einen Großkunden, den du dir wünscht oder hast du einen Wunsch hinsichtlich irgendeines Architekten, mit dem du unbedingt mal zusammenarbeiten möchtest, weil dir seine Arbeiten besonders gut gefallen?
JS:
Nein. Nein. Bis jetzt hat es sich von alleine ergeben, dass ich mit Kunden und Architekten zusammenarbeite, von denen ich lange nicht gewagt hätte zu träumen und ich glaube, dass ich mich schon in ganz guten Kreisen bewege.
PV:
Welche Eigenschaften zeichnen dich für deine Arbeit aus?
JS:
Ehrgeiz, starker Wille, Ausdauer, Geduld, Mut anders zu sein.
PV:
Ästhetisches Empfinden?
JS:
Ja. Und ein Gespür für Menschen, gutes Zuhören, nicht nur den Kunden, sondern auch den Mitarbeitern. Das braucht es um eine gute Führungsperson und ein guter Lehrer zu sein, sofern die Zeit dafür da ist.
PV:
Weil?
JS:
Weil ich die Sprache der Leute ganz gut treffen kann. Das zieht sich schon durch mein ganzes Leben. Ich bin oft in Situationen reingerutscht, in denen man mir zugehört und das Gesagte gut und gerne angenommen hat. Ich kann mich gut in andere hineinversetzen und sachlich einordnen, warum jemand etwas macht. Ich finde schnell einen guten Zugang zu anderen.
PV:
Bei deiner Arbeit sind wieviel Prozent Gefühl und wieviel Prozent Kopf?
JS:
Ich bin Handwerker. Ich gehe konstruktiv an einen Entwurf heran.
Wenn ich für mich alleine arbeite ist es mittlerweile zu hundert Prozent Gefühl. Ohne kann ich gar nicht. Ich plane die Bauteile auch nicht bis ins letzte Detail. Eine Basis ist notwendig, der Rest entsteht. Die Bauteile müssen wachsen, durch ausprobieren und den Blick fürs Ganze. Anders ist es als Firmeninhaber mit Personal, da muss viel mehr im Voraus aus dem Kopf entschieden, aufs Papier gebracht und möglichst sachlich kommuniziert werden, denn Gefühl lässt sich nun mal ziemlich schwer übermitteln. Leider funktioniert das nicht, aber es wäre ein Traum, denn dann hätte ich weniger Arbeit im Büro und könnte öfter selber in der Werkstatt stehen. (lächelt)
PV:
Hast du jemals darüber nachgedacht, irgendetwas Anderes zu machen?
JS:
...dass ich aktiv nach etwas Anderem suchen würde? - Nein.
PV:
Gibt es Pläne für die Zukunft?
JS:
Gibt es immer. Die ändern sich aber täglich, denn es kann jeden Tag eine neue Option kommen, mit der ich arbeiten kann. Und das gärt dann in meinen Gedanken. Konkrete Ziele möchte ich gar nicht definieren. Man muss flexibel bleiben können. Es entstehen grobe Bilder, wie es sein könnte, so war es immer schon und meist hat es sich dann früher oder später positiv dahin entwickelt. Aber wie gesagt, das kann sich mit jeder Entscheidung die ich treffe, ändern.
PV:
Was treibt dich an?
JS:
Gute Frage. ... Ich habe unheimlich viel Freude an dem Beruf, an dem Material. Ich empfinde eine Sinnhaftigkeit darin, dass ich Dinge herstellen kann, die auch überdauern können, mich sogar überdauern können. Der Austausch mit den Menschen ist mir ganz wichtig. Der sich natürlich mittlerweile zu einem hohen Maß in der Arbeit wiederfindet, mehr als im Privaten. Aber in dem was ich tue, finde ich ganz einfach große Erfüllung. Mich als Selbständiger, der Arbeit wegen, mit Menschen auseinanderzusetzen, die sich auch Kreativ mit den Dingen des Lebens beschäftigen, ist einfach schön.
PV:
Hast du einen Rat für junge Menschen, die auch nach Leidenschaft und Erfüllung suchen?
JS:
Neugierig sein, Fragen stellen, Praktika machen, Dinge ausprobieren, überlegen was einem Spaß macht. Versuchen auf sich selbst zu hören, sich nicht gezwungen fühlen einem Druck von außen zu unterliegen, dann loslegen und ruhig nach einiger Zeit auch sagen: das war es noch nicht und dann was Neues starten. Es geht doch um Entwicklung und die braucht Zeit. Leicht ist das nicht, aber es kann sich lohnen, auch wenn es Arbeit bedeutet und sicher nicht der einfachste Weg ist.
PV:
Johannes, vielen Dank für das Gespräch.
 
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http://www.metallhandwerk-sitsen.de

 



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