Jens Ihnken

Fotograf

Jens Ihnken ist people-fotograf und international tätig. Er kann sich überhaupt nicht vorstellen etwas anderes zu tun. Und will es auch gar nicht.

PV:
Wir haben dich mehrfach beim Fotografieren erlebt. Ist Fotografie deine Leidenschaft?
JI:
Ja, das macht mir Spaß und ich bin immer noch neugierig.
PV:
Du machst es jetzt schon viele Jahre. Was fasziniert dich daran?
JI:
Das Schöne an Fotografie ist, dass es eigentlich keine Grenzen gibt.
Das Schöne an Fotografie ist, dass es eigentlich keine Grenzen gibt. Es ist ein Medium mit dem man alles machen kann. Man hat keine Dogmen an die man sich halten muss und keine Grenzen. Du kannst, wenn du eine bestimmte Vision von einem Foto im Kopf hast, es genauso machen wie du es möchtest. Das ist eine ganz spannende Sache. Aber das gilt natürlich auch, wenn man zeichnen oder singen kann. Bei jeder Art von Kunst ist das eine wichtige Voraussetzung. Aber bei Fotografie sieht man halt relativ schnell ein reales Abbild. Das gefällt mir gut und macht den Spaß aus an der ganzen Sache.
PV:
Gibt es rückblickend etwas, das du heute anders machen würdest?
JI:
Das kann ich ganz sicher beantworten: ich würde anstelle einer Ausbildung heute Fotografie studieren. In der Ausbildung musst du das Handwerk lernen, du musst für ein bestimmtes Geld in einer bestimmten Zeit Dinge schnell machen und du hast gar nicht die Möglichkeit einen kreativen Prozess zu forcieren, weil kreativ sein ist nicht Handwerk. An einer Fachhochschule oder einer Universität ist es einfach anders. Ich kann das sagen, weil ich damals Assistent war bei einem Fotografen in Frankfurt, der auch Professor für Fotografie in Darmstadt war, Henner Prefi, und ich habe immer dann mit Neid auf die Arbeiten und die Zusammenkünfte der Studenten geguckt, wenn die zu uns ins Studio kamen und dem Henner ihre Arbeiten präsentierten.
PV:
Weil das freie Arbeiten waren?
JI:
Weil du einfach jemanden hast, der dein Sparring-Partner ist und der dir dabei hilft Sichtweisen und Gefühle zu entwickeln und der einen Gedanken, den du gefasst hast, vielleicht in der Entwicklung unterstützt – nicht steuert, aber unterstützt – und da entstehen ganz einfach andere Dinge.
PV:
Das musstest du dir dann selber erarbeiten oder hattest du es von Natur aus drauf?
JI:
Ich habe immer fotografieren wollen. Ich habe immer anders fotografiert als es meinem Lehrherrn im Norden Ostfrieslands bestimmt lieb gewesen ist.
Ich habe immer fotografieren wollen. Ich habe immer anders fotografiert als es meinem Lehrherrn im Norden Ostfrieslands bestimmt lieb gewesen ist. Die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Medium ist initialisiert worden durch die Arbeit in Frankfurt in einem größeren Werbestudio, wo zum ersten Mal der Begriff Kreativität auch ein Fundament gefunden hat. Dass es das gab, war mir schon immer klar. Aber was es letztendlich wirklich bedeutet, das habe ich erst erfahren, als ich in der großen Stadt Frankfurt, die damals noch eine Werbestadt gewesen ist, eben mit entsprechenden Projekten zu tun hatte. Das hatte dann zur Folge, dass ich mich auch ganz anders damit auseinandergesetzt habe. Bestimmt hatte auch ein Freund großen Einfluss, der einen ganz anderen Anspruch an Kreativität hatte als alles was ich zuvor erlebt hatte.
PV:
Jetzt ist ja der Beruf des Fotografen in der Vorstellung vieler Menschen eine Art Traumberuf. Exotische locations, tolle Modells, großes Theater. Ist das tatsächlich so oder gibt es auch harte Zeiten?
JI:
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen etwas Anderes zu tun und ich möchte es ehrlich gesagt auch nicht.
Das ist so. Aber der Weg dahin ist vielleicht deutlich komplizierter als man ihn sich vorstellt. Ich kann das an einem Beispiel klar machen. Ruft ein Kunde dich an und sagt, ich möchte gerne, dass du Modelle auf weißen Holzklötzen in der Wüste fotografierst, wie ich das für ein Handtaschenlabel gemacht habe, dann geht die Planung los und dann geht die Organisation los. Dann die budgetäre Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema, Geld ist immer da, aber natürlich auch nicht unendlich. Die ganzen Vorbereitungen zu dem eigentlichen Schuss sind extrem anstrengend, weil extrem verhandlungsnotwendig und -intensiv. Man darf nicht vergessen, dass man sich ein Stück Wüste irgendwo auf der Welt ausgesucht hat, in der dann das eigentliche Foto zu machen ist. Je weiter man in den Süden fliegt, desto kürzer ist der eigentliche Moment des Fotografierens, denn die Sonne darf nicht zu hoch stehen. Alle sind sehr angespannt, denn die ganze Anstrengung der letzten vier bis fünf Wochen reduziert sich letztendlich auf zwei Stunden, in denen man funktionieren muss. Natürlich hat man tolle Modelle, tolle locations und gute Stimmung. Es ist schon eine coole Sache, die wahnsinnig viel Spaß macht.
PV:
Hast du auch harte Zeiten kennen gelernt?
JI:
Ja. Es gibt immer Höhen und Tiefen. Die erste Härte in der ganzen Selbständigkeit war, dass es Mehrwertsteuern gibt, die man dann abgeben muss. Das sind 19% heute, damals waren es noch 16 oder 14%. Man arbeitet viel. Man verdient auch relativ gutes Geld für eine überschaubare Arbeit. Daran kann man sich sehr leicht gewöhnen. Wenn es dann zum ersten Mal passiert dass es nicht so gut läuft, was jedem Kreativen passieren kann, dann kann das auch schon ganz schön hart sein.
PV:
Was hat dich sicher bleiben lassen, dass du weitermachst. So eine harte Zeit könnte ja auch dazu führen etwas ganz anderes machen zu wollen.
JI:
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen etwas Anderes zu tun und ich möchte es ehrlich gesagt auch nicht.
PV:
Selbst am tiefsten Punkt nie den Gedanken gehabt, was könnte Plan B sein?
JI:
Es gab immer einen Plan, der sich leider noch nicht erfüllt hat, ich wäre gerne Professor geworden. Professor für Fotografie. Aber es hat nie den Wunsch gegeben etwas ganz anderes zu machen. Natürlich gab es mal die Gedanken, ich fahr jetzt Taxi oder ich arbeite in irgendeiner Bar, habe ich aber nie gemacht, weil ich dafür zu stolz war und ich war überzeugt davon, dass es schon irgendwie weitergehen würde. Ist es ja auch. Nach dem Tief gab es ein Hoch. Es war bisher immer so, wenn ein Kunde gegangen ist, sind neue Kunden gekommen.
PV:
Ist es manchmal nicht auch gut, wenn Kunden gehen, mit denen man lange zusammengearbeitet hat? Gerade im kreativen Prozess?
JI:
Ich hatte bisher das Glück keine Kunden zu haben, die bequem geworden sind. Bequemlichkeit kann das Produzieren von Qualität schwieriger machen. Aber hat man Leute am Set, die nach wie vor alle daran interessiert sind den Kunden weiterhin zu behalten oder seinen Chef weiterhin glücklich zu machen, lässt man Bequemlichkeit nicht zu. Dann kann eine Kundenbeziehung auch sehr lange halten.
PV:
Was ist dir lieber, ein Auftrag, bei dem bis ins letzte Detail alles vorgegeben ist oder einer, bei dem der Auftraggeber darauf vertraut, dass du schon ein großartiges Ergebnis liefern wirst?
JI:
Bequemlichkeit kann das Produzieren von Qualität schwieriger machen.
Je größer die Produktionen, desto weniger Raum für Kreativität ist da. Es sind so viele Stationen bereits durchlaufen. Das fängt an bei der Ideenfindung in der Agentur, der Realisierung der ersten Illustrationen durch den Illustrator, der Besprechung mit dem Kunden, der Absegnung durch den Vorstand. Da ist oft gar nicht so viel Platz für kreative Querläufe. Dann gibt es mehr und mehr auch festgelegte Layouts. Man fotografiert in die Layouts hinein. Ein city-light-plakat hat ein bestimmtes Format, da kann man kein Querformat, sondern nur ein Hochformat machen. Das Logo sitzt zum Beispiel unten rechts, da darf dann kein anderes wichtiges Element im Bild sein. Deswegen sind diese Bilder oft sehr aufwendig in der konzentrierten Komposition. Wichtig ist immer dieses Sparringserlebnis am Set mit einem Artdirector oder Kreativdirektor, was das Ganze natürlich dann auch in Kreativität enden lässt. Aber es ist mit Sicherheit eine andere Art von kreativem Prozess als das, was weitläufig darunter verstanden wird.
PV:
Heißt das mit anderen Worten, dass es ganz selten einen Auftrag gibt, wo der Kunde sagt, ich habe vollstes Vertrauen in Sie, machen Sie mal?
JI:
Ja, das ist seltener der Fall. Aber man kann auch innerhalb eines gesteckten Rahmens kreativ werden. Kriege ich ein Layout, da steht eine Person vor einer roten Wand, dann ist es mir überlassen, wie ich das Licht mache. Kreativ ist nicht nur das Foto, kreativ ist auch die Art und Weise, wie ich mit den Menschen am Set arbeite und was ich für Gesichtsausdrücke bekomme und welchen Wert ich auf Styling lege usw.
PV:
Du hast als stillifer angefangen und bist schon lange people-fotograf. Warum, weshalb, wieso?
JI:
Kreativ ist nicht nur das Foto, kreativ ist auch die Art und Weise, wie ich mit den Menschen am Set arbeite.
Ich bin zufällig bei einem stillife-fotograf in Frankfurt gelandet. Dass der Typ eine ganz große Nummer war zu der Zeit, habe ich nicht gewusst. Ich habe auch nicht gewusst, was ich überhaupt in diesem Studio mache, weil die Anforderungen, die dort an mich gestellt wurden, meinen Horizont komplett überfordert haben. Ich hatte von alledem überhaupt keine Ahnung. Ich habe dann dort fast sieben oder acht Jahre lang assistiert und alles ganz neu gelernt. Während dieser Zeit, die für mich sehr wichtig war, war aber auch relativ schnell klar, dass die Auseinandersetzungen und dieses Getüftel mit dem Gegenstand, den ich ausleuchten möchte, nicht die Erfüllung war. Wenn wir mal Menschen fotografiert haben, war für mich auch ganz schnell klar, dass es das für mich auch nicht sein kann, weil so wie der stillifer Menschen fotografiert, ist es eigentlich auch nicht richtig. Dann kam für mich auch aus Altersgründen die Zeit, selber Dinge bewegen und Geld verdienen zu wollen und eine zweite Assistenz schied für mich aus. Es blieb nur die Entscheidung, ich mach jetzt people-fotografie und die mach ich so wie ich das will. Das hat sich dann auch als richtige Entscheidung herausgestellt. Seitdem mache ich das. Ich mache keine stills mehr, nur ganz, ganz selten. Aber seitdem fotografiere ich Menschen.
PV:
Jetzt hast du schon zweimal gesagt, dass du das immer irgendwie auf deine Art machst. Ist es wichtig einen eigenen Stil zu haben oder ist es eher abträglich, wenn man kommerziell arbeiten will?
JI:
Wenn du einen Stil findest, der so gut ist, dass alle ihn haben wollen, ist es auf jeden Fall wichtig und richtig. Wenn du aber der Meinung bist, dass dein Stil der Richtige ist und du nicht bereit bist, auch irgendetwas anderes auszuprobieren, dann ist es falsch. Wenn mich jemand fragen würde, was ist denn dein Stil, könnte ich diese Frage gar nicht mit einer konkreten Aussage untermauern. Ich bin aber jemand, der sehr dafür ist, dass es immer ein gutes Ergebnis gibt, dass irgendwo so eine Art persönliche Note mit dabei ist und irgendwelche Sachen sich in den Bildern wiederfinden, mit denen ich mich auch identifizieren kann. Ich mag es ganz gerne, wenn Leute nicht überposieren, sondern sie so natürlich sind wie sie eigentlich sind. Wenn man dazu dann noch leicht animierende Elemente nutzt, denke ich, ist das alles schon ganz gut. Bisher hat es den Kunden immer gut gefallen.
PV:
Verstehst du dich als Handwerker, als Künstler, als Dienstleister oder ist es von allem etwas?
JI:
Ich glaube, es ist von allem etwas. Denn so wie vorhin ja auch schon gesagt, die Projekte, die man als Fotograf in der Werbung macht, das sind oft Projekte, die eine gewisse Historie haben und die auch in der Entwicklung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Deswegen ist man Ende schon irgendwo ein Dienstleister, aber ein anderer Dienstleister als z.B. ein Klempner oder Dachdecker. Die Leistung am Ende, die erbracht wird, die erfordert einfach Kreativität. Den Begriff des kreativen Dienstleisters gibt es ja nicht.
PV:
Würdest du lieber früher in den gesamten kreativen Prozess mit eingebunden werden?
JI:
Das ist ein großer Wunsch von mir, Leuten früher mit Rat und später dann mit Tat zur Seite zu stehen. Bevor fotografische Konzepte an den Fotografen gegeben werden und irgendwelche Budgets mitgegeben werden, gibt es vielleicht öfter den Moment, der alles noch mal in andere Bahnen lenken könnte. Wenn Leute sich Gedanken machen über ein Foto und dabei Prozesse am Fotoset einfach nicht kennen, kommt man ganz schnell an irgendwelche Grenzen, die einen einengen. Wenn man diese Grenzen von vornherein in andere Richtungen schickt, dann würde am Ende vielleicht viel mehr Freiheit für die Gestaltung des Fotos da sein.
PV:
Hat dich die Arbeit mit Menschen vor unter hinter der Kamera zu einem besonders guten Beobachter gemacht? Oder zu einem Menschenkenner?
JI:
Es ist einfach viel wichtiger sich auf den Moment zu konzentrieren als auf die ganzen Sachen drum herum.
Ich habe nie darüber nachgedacht. Aber eigenartiger Weise ist es wirklich so, dass wenn ich Menschen neu kennenlerne, habe ich relativ schnell eine Meinung über sie und diese Meinung bestätigt sich zu 80-90% immer. Ich habe ein schönes Projekt gemacht für die Kassenärztliche Vereinigung. Über viele Jahre habe ich Portraits mit Ärzten gemacht. Die Ärzte wurden dann auf Großflächenplakaten gezeigt. Für all diese Plakate und für all diese shootings gab es einen Zeitkorridor von 20 Minuten. D.h. es war immer wichtig diese Menschen innerhalb dieser 20 Minuten so an sich heran zu lassen und wiederum den Menschen auch die Möglichkeit zu geben, dass die mich so an sich heran lassen, dass am Ende ein Foto dabei rauskommt, was teilweise 10 m hoch hängt. Das war eine große und intensive Erfahrung. Ich habe gemerkt, wenn man von vornherein den Menschen das Gefühl der Wichtigkeit gibt und ihnen auch die Möglichkeit lässt, deutlich zu machen, dass sie gar nicht wichtig sind, dann funktioniert das. Ich gehe bei shootings oft auf die Leute zu und sage auch zum Vorstand, hör mal, die nächsten zehn Minuten duze ich dich. Ich kann mich jetzt nicht darauf konzentrieren, dass sie Dr. Sowieso oder ähnlich heißen, sondern ich sage einfach Herr Dr. oder mach du mal. Dann gucken die alle schräg. Aber spätestens nach drei, vier Minuten verstehen die das auch alle. Wenn das shooting vorbei ist, ist gleich wieder alles per Sie. Es ist einfach viel wichtiger sich auf den Moment zu konzentrieren als auf die ganzen Sachen drum herum. Aber um die Frage zu beantworten, ich glaube ja, ich habe mit der Zeit gelernt Menschen schneller zu analysieren und kennenzulernen.
PV:
Lässt du dich gerne fotografieren?
JI:
Überhaupt nicht.
PV:
Hast du einen Lieblingsfotograf?
JI:
Ja, Mike Disfarmer, weil er ehrliche, authentische und berührende Bilder gemacht hat.
PV:
Du hast mit vielen Menschen vor und hinter der Kamera zu tun. Die müssen alle zu einem bestimmten Zeitpunkt funktionieren? Ich könnte mir vorstellen, dass es oftmals auch Egos sind, Menschen mit Befindlichkeiten, Menschen die gerade nicht in Hochform sind, Menschen die es nicht gewohnt sind vor der Kamera zu stehen. Ist das nicht auch eine Managementaufgabe?
JI:
Je größer eine Produktion ist, umso mehr Leute sind auch involviert und umso wichtiger ist es auch, dass diese Produktionen Unterstützung erfahren. Es gibt Produktionsfirmen, die einen in der Organisation unterstützen und während des shootings natürlich auch den Ablauf kontrollieren, bzw. Probleme lösen. Ist man auf einer location, dann gibt es immer jemanden der das macht. Da werden Leute gebucht, die mir als Fotograf dann zuarbeiten und sich darum kümmern ob beispielsweise ein Auto falsch geparkt ist oder Modelle das richtige vegetarische Essen bekommen. Das ist natürlich so. Es ist aber auch so, dass der Fotograf nach wie vor immer der Verantwortliche am Set ist. Er muss immer den Gesamtüberblick behalten und man darf sich zwar immer darauf verlassen, dass alle um einen herum funktionieren, aber trotz alledem muss man immer noch am Ende des Tages selber die Entscheidungen treffen. also welche Blende man nimmt, welche Verschlusszeiten man nimmt. Wenn es zu Schwierigkeiten kommt während eines solchen shootings, was ja auch passieren kann, weil eben solche Befindlichkeiten da sind, gibt es durchaus Momente, wo man dann mit entsprechendem freundlichen Nachdruck durchaus deutlich machen darf, wie man sich das eigentlich vorgestellt hat als Fotograf und dass es vielleicht gerade nicht so läuft. Spätestens wenn das passiert, sind aller wieder auf dem Weg.
PV:
Wenn man dich erlebt vermittelst du Kompetenz und auch Gelassenheit. Bist du ein gelassener Mensch oder ist das Selbstbeherrschung?
JI:
Ich habe es ganz gerne mich den Situationen dann zu stellen, wenn sie vor mir sind. Ich mache es auch bei Produktionen so, dass ich natürlich die briefings lese und dass ich in den briefings und in den Produktionsbeschreibungen erkenne, was als Wichtigkeit vor mir ist, aber ich möchte mich nicht von einer Aussage von vornherein verrückt machen lassen. Deswegen glaube ich schon, dass ich sagen kann, dass ich mit einer gewissen Gelassenheit ans Set gehe. Es ist aber auch damit untermauert, dass ich gut vorbereitet bin. Wenn ich in der Vorbereitung all das erfüllen konnte was ich mir vorgestellt habe, dann ist ja eigentlich nur noch das Zusammenspiel von bestimmten Dingen notwendig. Wenn es dann passiert, dass auf einmal der Himmel grau über einem zusammenbricht, dann kann ich nur gelassen bleiben, weil das nicht meine Schuld ist. Alles andere was hier vielleicht gerade Aufruhr bringt, das kriegen wir auch noch hin.
PV:
Ich habe in einem anderen Interview gelesen, dass du gesagt hast, am allerliebsten würdest du durch die Welt reisen und Menschen fotografieren. Ist das so?
JI:
Ich würde gerne so viel Geld haben, dass ich an bestimmten Orten so viel Zeit mit Menschen verbringen könnte, um sie in ihrem eigenen Ambiente kennenzulernen und zu fotografieren. Und das an den ungewöhnlichsten Plätzen, die man sich vorstellen kann. Dazu könnte eine reiche Frau am Centralpark gehören, aber auch ein Häuptling irgendwo aus dem afrikanischen Busch. Das würde ich wirklich gerne machen.
PV:
Was würdest du mit den Fotos denn machen? Geht es darum, die Menschen kennenzulernen oder mit den Fotos etwas zu machen?
JI:
Es geht schon darum, die Menschen kennenzulernen. Ich würde gerne mal eine Ausstellung machen und das könnte ein Thema dafür sein.
PV:
Bist du als Fotograf noch durch irgendwas zu erschüttern?
JI:
Spätestens dann wenn ein Kunde sagt, das gefällt ihm nicht. Erschüttern ist vielleicht das falsche Wort. Es ist schon so, dass man oft über Dinge noch mal nachdenkt. Da gibt es verschiedene Sachen. Dinge, die ich nicht gut finde, aber z.B. alle anderen gut finden. Wenn Leute sich in Technik verlieren, kann ich das manchmal auch nicht nachvollziehen. Ich glaube nicht, dass es was gibt, vor dem ich Furcht habe.
PV:
Wir leben in einer Welt, wo Geld die überwiegende Rolle spielt. Geht es in der Fotografie auch überwiegend um Geld oder geht es auch noch um Qualität?
JI:
Der Anspruch an Qualität ist mit Sicherheit gesunken. Der Umgang mit qualitativ hochwertigen Bildern im täglichen Gebrauch ist ja auch ein anderer als er es noch vor zehn Jahren war. Warum soll ich einen hochkarätigen Fotografen buchen, um den Filialleiter von der Sparkasse zu fotografieren, wenn der Lehrling ein tolles iPhone oder eine tolle Kamera hat. Mit den voreingestellten presets an den Kameras erreicht er ein Ergebnis, das vielleicht zu 80% so gut ist wie das, was der Fotograf erreicht und ich kann einfach ein paar Bilder mehr machen, dann relativiert sich das auch noch mal. Man muss das so sehen, dass die Spezialisierung, die Qualität natürlich, aber die Spezialisierung auf die gezielten Projekte, das ist das, was den Fotografen immer noch die Möglichkeit gibt, Geld zu verdienen.
PV:
Heißt das, dass das Ende der Fotografie absehbar ist? Also der professionellen Fotografie?
JI:
Nein, da ist kein absehbares Ende für professionelle Fotografie in Aussicht, aber es ist definitiv notwendig, dass man spezialisierter an das Ganze heran geht. Dass man sich spezialisierter aufstellt und sagt, das ist meine Kernkompetenz und du bekommst von mir etwas, was kein anderer hinkriegt.
PV:
Spezialistentum also?
JI:
Genau. Wie das Beispiel der Ärzte. Ich weiß, die Agentur hat mich gebucht, weil sie mich aus anderen Projekten kennt und gesagt hat, das kriegt der hin, am Tag 15 Leute zu fotografieren und am Ende des Tages haben wir gute Ergebnisse. Das ist eine gewisse Art von Erfahrung, die da mitspielt und die kostet natürlich auch am Ende des Abends.
PV:
Hast du noch unerreichte Ziele?
JI:
Ich habe gesagt, ich möchte, bevor ich 30 bin, eine Anzeige in der Vogue haben. Das habe ich geschafft.
Schon. Aber die sind noch so ein Stück weit weg, dass ich die noch gar nicht definiert habe. Ich glaube schon, dass ich sagen kann, ich möchte jetzt nicht die Füße hochlegen. Ich hatte immer das Ziel für einen Herrenprodukt zu fotografieren. Das habe ich gemacht. Ich habe gesagt, ich möchte, bevor ich 30 bin, eine Anzeige in der Vogue haben. Das habe ich geschafft. Ich wollte Einzelplakate machen, die in ganz Deutschland hängen, das habe ich geschafft. Was ich gerne möchte ist es Celebrities zu fotografieren, aber da fehlt mir noch der Zugang im Sinne der Kontaktdaten. Daran arbeite ich. Aber ich weiß noch nicht, wie ich es mit den Kontakten dahin anstellen muss (lacht). Vielleicht kommt das noch.
PV:
Wann bist du mit einem Bild zufrieden? Passiert das schon während des shootings? Ist das erst hinterher? Wann sagst du WOW, das ist es?
JI:
Es gibt diesen Moment, wenn man fotografiert und es klick macht zwischen dem Fotografen und dem Protagonisten. Das ist jedes Mal so ein WOW-Erlebnis.
Wenn ich das jetzt mal auf den Moment der people-fotografie reduziere glaube ich schon, dass ich spüre wenn alles stimmt, also das setting stimmt, die Mode stimmt oder das styling stimmt. Trotz alledem ist noch der Mensch da und da ist ja noch die Seele mit dabei. Habe ich jemanden, der sich überhaupt nicht hingibt und der sich überhaupt nicht so weit lockert, dass er sich auf das Foto einstellen kann, nutzt mir das styling nichts, nutzt mir das setting nichts, nutzt mir das Licht nichts, nutzt mir auch die teure Kamera nichts. Es gibt diesen Moment, wenn man fotografiert und es klick macht zwischen dem Fotografen und dem Protagonisten. Das ist jedes Mal so ein WOW-Erlebnis. Das ist immer wieder der schönste Moment und das macht immer wieder ganz viel Spaß.
PV:
Was sind die drei wichtigsten Qualitäten, die aus deiner Sicht ein guter Fotograf mitbringen sollte?
JI:
Auf jeden Fall Ehrgeiz. Auch an die eigene Person. Ich finde Disziplin ist sehr wichtig beim Fotografieren. Offenheit. Dinge, die jetzt nicht unbedingt miteinander funktionieren trotzdem zu harmonisieren. Das ist oftmals ein schmaler Grad zwischen der Disziplin ein Set zu führen und dem Ehrgeiz am Ende ein gutes Bild zu machen. Gleichzeitig muss man die Offenheit bewahren, dass alles anders wird als man geplant hat.
PV:
Wenn du einem jungen Menschen einen Rat mitgeben solltest, der sagt, am liebsten würde ich Schreiner werden, aber ich weiß, dass das heute kein doller Beruf mehr ist. Was würdest du dem raten?
JI:
Werde Schreiner. Wenn du das willst, dann musst du das machen.
PV:
Lieber Jens Ihnken, vielen Dank für das Gespräch.


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