Brigitte Haertel

Publizistin, Autorin, Journalistin

Als Publizistin, Autorin, Journalistin gilt ihre Leidenschaft dem freien Schreiben und der Beschäftigung mit den großen Fragen des Lebens.

PV:
Frau Haertel, was fasziniert Sie an Gedanken, Sprache und deren Veröffentlichung?
BH:
Gute Frage. Ich glaube, das hatte ich schon immer in mir. Bereits als Kind habe ich wie ein Weltmeister gelesen. Ich kann mich nicht daran erinnern, mal nicht gelesen zu haben. Das ist heute noch so und geht natürlich auch ein wenig zu Lasten anderer Kunstformen. Für mich sind Sprache und Literatur MEINS. Ich kann es nicht anders sagen.
PV:
Hat Sie jemand herangeführt?
BH:
Ja, meine Eltern haben auch gelesen, aber ich viel mehr.
PV:
Nun gibt es ja viele Menschen, die früh angefangen haben zu lesen, sich dann aber ganz anderen Berufen zugewendet haben, die keine Journalisten, Autoren oder Publizisten geworden sind wie Sie.
BH:
Es ist tatsächlich so, dass ich auch schon als Kind geschrieben habe.
Es ist tatsächlich so, dass ich auch schon als Kind geschrieben habe. Ich habe eigene Geschichten erfunden, habe fantasiert und versucht, Mickeymouse und Donald Duck Konkurrenz zu machen. Sprache ist mir nach wie vor lieb und teuer. Das habe ich sehr deutlich nach dem Tod meines Mannes gemerkt. Ich habe nach dem Wort gesucht, was mich hätte retten können. Ich habe keine Musik gehört, die mir Freunde empfohlen haben, das konnte ich alles nicht, ich habe immer nur nach dem rettenden Wort gesucht und habe alle Trauerlektüre, die es gibt auf der Welt, gelesen. Irgendwie, irgendwann hat das dann auch geholfen.
PV:
Haben die Worte getröstet?
BH:
Ich denke, dass es keinen Trost gibt. Es gibt nur so etwas wie Beistand.
PV:
Hatten Sie im Laufe Ihres Lebens ein Vorbild oder einen Mentor, an dem oder der Sie sich orientiert haben?
BH:
Ich habe einfach viel gelesen und so gab es natürlich den einen oder anderen Autor von dem ich gesagt habe, ja, das entspricht meinem Denken in Gänze und das waren fast immer Romantiker wie ich selbst.
PV:
Mit Ihren Inhouse-Magazinen, sei es Theo, ProVita, Glanzstück, Kirchenlatein, sind Sie ja inhaltlich, wie formal einen auffallend ästhetischen Weg gegangen. Mussten Sie dafür kämpfen oder sind Sie offene Türen eingerannt?
BH:
Die Kirche ist nicht unser Kunde.
Ganz unterschiedlich. Ich hatte ja einen kleinen Verlag und wir haben Zeitschriften gemacht im Auftrag von Unternehmen und kulturellen Einrichtungen. Manche waren beeindruckt, wenn wir ihnen ein Layout gezeigt haben und haben sofort WOW gesagt, die meisten eigentlich. Dann gab es aber auch Kunden, die das nicht verstanden haben und dann machte es auch keinen Spaß für sie zu arbeiten.
PV:
Ist Ihnen mit THEO, dem modernen und sehr offen erscheinenden katholischen Magazin die Öffnung einer breiteren Zielgruppe gelungen?
BH:
Auf jeden Fall.
PV:
Wirkt sich das aktuelle Kirchenthema negativ auf die inhaltliche Entwicklung des THEO Magazins aus?
BH:
Extrem sogar. Ich mache das Heft jetzt seit 15 Jahren und zum ersten Mal kriegen wir Absagen von Persönlichkeiten, die wir interviewen wollten. Die meisten sagen, dass sie mit „Katholisch“ nichts zu tun haben wollen. Interessanterweise hat es das zuvor nicht gegeben, obwohl ja schon lange bekannt ist, dass bei der Kirche was im Argen liegt.
PV:
Steht Ihnen die Kirche als Kunde näher als weltliche Kunden?
BH:
Überhaupt nicht, nein, im Gegenteil. Die Kirche ist nicht unser Kunde. Wir haben mit Kirche ehrlich gesagt, nichts zu tun. Das ist eine freie Herangehensweise an das Thema Glauben, Spiritualität und wir sind im Katholischen verortet, weil meine Mitgesellschafter Katholiken sind, die helfen, THEO am Leben zu erhalten. Die auch etwas von Ästhetik verstehen und sagen, so etwas braucht der Glaube. Ich war am Anfang natürlich auch mal bei Bischöfen, weil wir gehofft haben, dass wir Unterstützung von ihnen kriegen, aber völlig ohne Erfolg.
PV:
Sie denken, formulieren und schreiben, leisten Überzeugungsarbeit, veröffent-lichen, was davon ist Ihnen das Liebste?
BH:
Die Gottsuche, das ist es. Die Frage nach Gott, existiert Gott, kann ich irgendwie etwas rausfinden über ihn oder existiert er nicht und was machen wir hier? Das ist doch immer das alles Entscheidende, wenn man älter wird.
PV:
Ist Gott ein Mann oder eine Frau?
BH:
Ich habe keine Schwierigkeiten mit der männlichen Konnotation, weil wir nicht wissen, ob Gott Mann oder Frau ist oder was auch immer, wir wissen ja eigentlich gar nichts. Neulich hat mir eine Frau gesagt, Jesus spricht ja von Gott als Vater, dann können wir das doch auch machen. Ganz leger hat sie das gesagt. Und mit einer Vaterfigur hätte ich kein Problem, bin allerdings auch eine Vater-Tochter.
PV:
Sich mit kirchlichen Themen zu beschäftigen, ist das eine Last oder ist das etwas Leichtes?
BH:
Wir beschäftigen uns nicht mit Kirchen-, sondern mit Glaubensthemen. Bei uns kommt kein Bischof zu Wort, kaum ein Theologe, es sei denn, dass er eine neue oder besondere Denkrichtung hat. Wir suchen uns die Themen aus, die uns als Macher der Hefte selber interessieren.
PV:
Das ist eine große Freiheit.
BH:
Da kommt man natürlich auch an seine Grenzen. Irgendwann ist dann auch alles gefragt und beantwortet und dann gibt es ein Stadium, wo es wahnsinnig schwierig wird, immer noch wieder was anderes, neues, interessantes zu finden und zu bearbeiten.
PV:
Wollen Sie mit Ihrer Arbeit etwas Bestimmtes erreichen?
BH:
Ich bin auf der Suche nach etwas, an dem ich mich festhalten kann, aber weder habe ich es bis jetzt gefunden, noch komme ich an.
Auf jeden Fall! Ich möchte helfen, die christliche Kultur zu retten, sie zu bewahren. Egal, was man jetzt von Kirche hält oder nicht hält oder von Institutionen, ich finde, dass das im christlichen beheimateten Gebot: „Liebet einander und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ eine große Chance für uns alle sein könnte. Das ist für mich nach wie vor eine unübertroffene Aussage. Wenn das gelänge, jeder jemand anderen lieben würde, dann gäbe es keinen ungeliebten Menschen auf der Welt und damit eben auch wahrscheinlich keine Kriege und keine Bedrohungen mehr.
PV:
Auch keine großen Nöte.
BH:
Genau, man würde füreinander sorgen, teilen und einstehen usw. Das Liebesgebot empfinde ich als ein ganz großes Gebot, dessen Erfüllung uns bis heute nicht gelungen ist.
PV:
Gibt es auch ein ganz neues Arbeitsthema?
BH:
Ja. ich schreibe gerade ein Buch zu einem Thema, das mich schon lange umtreibt. Aber dazu will ich weiter noch nichts sagen.
PV:
Sind Sie eine Suchende?
BH:
Ja, das war ich schon immer, leider. Ich habe oft Leute beneidet, die einfach nur leben und sich diesem ganzen Wahnsinn der Reflektion gar nicht stellen. Ich bin auf der Suche nach etwas, an dem ich mich festhalten kann, aber weder habe ich es bis jetzt gefunden, noch komme ich an.
PV:
Kommt man vor dem Lebensende denn je irgendwo an?
BH:
Der Schauspieler Gerard Depardieu ist ein gutes Beispiel für einen Suchenden. Aus lauter Verzweiflung ist er inzwischen sehr dick geworden. Und er hat wirklich schon alles gemacht, war bei den Benediktinern im Schweigekloster, hat sich dahin für Monate zurückgezogen, er spricht ständig mit Theologen, mit Buddhisten, mit allen, die als weise gelten, aber, es ist wie mit dem Alkohol, man kriegt kurz mal ein wohliges Gefühl, weil man so eine Art Erkenntnis hat, aber kurz danach kommt ein anderer, irritierender Gedanke und man beginnt wieder von vorn und erkennt, dass die Erkenntnis nur ein winziger Teil des Ganzen war.
PV:
Wird das ein Thema Ihres Buches sein?
BH:
Nein. Das ist noch nicht spruchreif, weil es etwas Persönliches ist.
PV:
Das Jahr 2022 ist ja noch jung, was haben Sie sich für das neue Jahr vorgenommen?
BH:
Ehrlich gesagt: gar nichts! Ich möchte mit meiner Trauer irgendwie weiterkommen. Direkt nach dem Tod meines Mannes habe ich mich in die Arbeit gestürzt und ein neues THEO Heft gemacht mit dem Titel TOD UND TRAUER. Das war das einzige Heft des letzten Jahres, was vollkommen ausverkauft war. Ganz sicher deshalb, weil wir keinen Gedanken ausgespart haben, das Thema von allen Seiten beleuchtet und kommentiert haben. Ich war wie im Rausch, wie getrennt von der Welt und trotzdem ist dabei ein Heft herausgekommen, das die Menschen berührt hat. Es war authentisch, berührend und informativ. Aber das ist eben auch so das Geheimnis von Kreativität, das kennen Sie ja vielleicht auch, man macht was in einer existenziellen Krise und es wird gut.
PV:
Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass Tod und Sterben bei uns nicht thematisiert werden. Wenn es dann plötzlich öffentlich besprochen wird, sind Betroffenheit und Wissbegier groß.
BH:
Ich glaube, Trauer ist so ein „Land“, über das man gar nichts wissen kann, bevor man es betreten hat. Dann allerdings erfährt man es richtig.
PV:
Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?
BH:
Das Schönste ist natürlich der Moment wenn so ein Magazin entsteht. Es ist immer gleich, das würde Ihnen ein Koch sagen, wenn er ein neues Gericht ausprobiert oder der Konditor, wenn er neue Torten macht. Das Schwierige ist immer der Anfang, die Themensuche. Aber dann, wenn man einmal im Fluss ist und die ersten gestalteten Seiten von unserer heißgeliebten Grafikerin kommen, dann tritt so etwas wie ein Glücksgefühl ein.
PV:
Die Grafikerin ist Claudia Ott, nicht wahr?
BH:
Ja. Claudia Ott. Und dann, sobald ich die ersten Seiten sehe denke ich, Gottlob, jetzt kann ich loslassen und einfach weitermachen. Das ist das Schönste, zu sehen, wie es sich dann auch visuell entwickelt.
PV:
Gibt es in Ihrer Art zu denken und zu sein einen roten Faden?
BH:
Ja, ich glaube schon. Ich bin eine Romantikerin, aber leider auch mit einer sehr dunklen Seite.
PV:
Was bedeutet das?
BH:
Na ja, es gibt eben diesen berühmten Vergleich: einige Leute sagen, das Glas ist halb voll und bei mir ist es immer halb leer. Ich war damit sehr lange unglücklich, bis ich meinen Mann kennenlernte, der so ganz anders war als ich. Wir haben uns deswegen sehr, sehr gut ergänzt.
PV:
Ist das so eine Caspar-David-Friedrich-Seite?
BH:
Ja, so ein bisschen, ich flüchte dann eine düstere, ängstliche Stimmung. So schaue ich mir zum Beispiel nie Krimis an. Ich habe bestimmt seit 40 Jahren keinen Tatort mehr gesehen, obwohl meine Tochter beim Fernsehen arbeitet und oft Tatorte produziert. Nach einem Tatort käme ich nicht in den Schlaf. Der rote Faden ist also, dass ich ein bisschen verrückt romantisch bin.
PV:
Haben Sie aus Ihrem bisherigen Leben etwas gelernt?
BH:
Ich lerne ja täglich. So habe ich zum Beispiel gelernt, dass man niemanden verändern kann, wenn überhaupt, nur sich selbst.
PV:
Haben Sie das früh oder spät gelernt?
BH:
Sehr spät, viel zu spät, das kennt man ja als Frau. Ich war zweimal verheiratet und bei jedem Mann habe ich gedacht, ich weiß es besser. Irgendwann habe ich gelernt, dass Besserwisserei schädlich ist. Und dass das Leben sehr kurz ist, was ich mir nie hätte vorstellen können als ich jung war. Diese Endgültigkeit hat mich gelehrt, dass man sich lieber nicht nur im Ego tummeln, sondern gutmeinend und wohlwollend gegenüber den Menschen um sich herum bleiben sollte.
PV:
Was würden Sie denn jungen Menschen raten, die nicht wissen, wohin sie mit sich selber sollen, sei es beruflich oder privat?
BH:
Ich habe mir abgewöhnt Ratschläge zu erteilen, weil ich es ja selber auch nicht weiß.
PV:
Auch nicht aus Ihrer Lebenserfahrung heraus?
BH:
Ich glaube, Trauer ist so ein „Land“, über das man gar nichts wissen kann, bevor man es betreten hat.
Also das Schreckliche, was ich jetzt am liebsten sagen würde ist: hört auf eure Mütter. Ich habe überhaupt nicht auf meine Mutter gehört, ich habe immer das Gegenteil gemacht von all dem, was sie mir gesagt hat. Ich habe das bereut. Heute glaube ich daran, dass wenn man auf seine Eltern hört, wenn man nicht gerade aus einem schrecklichen Elternhaus kommt, in dem alles drunter und drüber geht, wenn man wohlmeinende Eltern hat, die für ihre Kinder was Gutes wollen und man da mal ab und an hinhört und einiges beherzigt, dann kann nicht viel schief gehen. Aber die Menschen sind ja verschieden. Für manche gilt das eben nicht, die haben so viel Rebellisches in sich, die müssen ihren Weg gehen und müssen sie selbst werden. Eine andere Wahl gibt es da nicht. Daher ist Ratschläge geben eigentlich überflüssig.
PV:
Wenn Sie noch mal neu wählen könnten, würden Sie dann beruflich etwas anderes machen?
BH:
Auf jeden Fall! Ich würde etwas machen, etwas, was mich nicht immer nur geistig fordert, weil das anstrengend ist und man dadurch auch selbst anstrengend für andere Menschen wird. Wenn man immer alles hinterfragt und psychologisiert, so wie ich es tue, ist es verständlich, dass man gern praktischer veranlagt wäre. Ich würde vielleicht ein kleines Hotel führen oder so was in der Art. Aber dieses ständige alleine über etwas brüten würde ich nicht mehr wählen. Die Leidenschaft beim Schreiben kommt nur dann, wenn ich nicht jemandem gerecht werden muss, wie z.B. Lesern, die Lebenshilfe oder Erkenntnisse erwarten. Schreiben ist nur dann Leidenschaft, wenn ich frei schreiben kann über das, was in mir brennt.
PV:
Das heißt, genau das passiert Ihnen jetzt beim Schreiben Ihres neuen Buches?
BH:
Ja, ja. Das ist eine wahnsinnige Lust. Man geht ja in eine andere Welt, man verlässt das eigene Jammertal mit dem ganzen Wahnsinn und ist woanders. Nur dann ist Schreiben schön.
PV:
Könnte es sein, dass Sie sich ab jetzt den Freiraum nehmen nur noch frei zu schreiben?
BH:
Ja, aber dann besteht die Gefahr, dass ich in einer Einsamkeit versinke, vor der ich mich fürchte, wie jeder Mensch, der älter wird. Schreiben ist die einsamste Sache der Welt. Ich möchte nicht so vor mich hinbrüten, sondern mein restliches Leben lieber mit Menschen verbringen.
PV:
Ist das nicht das, was die Autorin Juli Zeh kürzlich in einem Interview ausdrückte, dass sie dieses im stillen Kämmerlein arbeiten, nur in den eigenen Gedanken unterwegs sein, für kein passendes Zukunftsmodell mehr hält, sondern viel eher das Denken und Sprechen mit anderen Menschen zusammen?
BH:
Ja, das stimmt, ich glaube, das wird sich immer mehr durchsetzen. Ich habe auch vor ein paar Tagen ein Interview mit der Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff gelesen, darin beschreibt sie ihren Lebenstraum damit, einen liebenden Partner zu haben und von einem großen Freundeskreis umgeben zu sein, mit dem ein reger Austausch stattfindet.
PV:
Ist das eine Umschreibung von Glück?
BH:
Das glaube ich schon. Es wird aber noch eine Weile dauern bis wir dahin kommen, weil wir diese Phase des übertriebenen Egoismus, des egozentrischen Lebens noch gar nicht beendet haben. Gesamtgesellschaftlich gesehen.
PV:
Also mehr Gemeinschaft und mehr Liebe?
BH:
Genau das ist jetzt gerade in der Kirche völlig verloren gegangen, diese Gemeinschaft haben doch viele Leute gesucht. Da liegt jetzt nur noch ein Trümmerhaufen und das ist bitter.
PV:
Liebe Frau Haertel, vielen Dank für das Gespräch.
BH:
Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu sprechen.
 
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