Bettina Masuch

Intendatin

Bettina Masuch, Intendantin des Tanzhauses NRW, hat sich in ihrer leidenschaftlichen Hinwendung zum Tanztheater stets von der großen Pina Bausch begleiten lassen.

PV:
Bettina du bist Intendantin des einzigen Tanzhauses in Deutschland. Warum Tanz?
BM:
Weil ich als 13-Jährige im Solinger Stadttheater durch einen Zufall eine Vorstellung von Pina Bausch gesehen habe. Das war zu einer Zeit, als das Tanztheater Wuppertal noch angefeindet wurde. Das waren Vorstellungen, wo die Leute gebuht, getrampelt, die Türen schlagend und unter lautstarkem Protest den Saal verlassen haben. Ich war damals Ballettschülerin und habe mit Pina Bausch etwas gesehen, was ich überhaupt nicht einordnen konnte, was mich aber umso mehr fasziniert hat. Am nächsten Tag bin ich noch mal hingegangen. Die Arbeit von Pina Bausch hat mein ganzes berufliches Leben begleitet. Ich habe dann irgendwann Theaterwissenschaften studiert und ab einem bestimmten Punkt in meiner beruflichen Laufbahn war es dann auch klar, dass ich vom Theater komplett auf den zeitgenössischen Tanz umschwenke.
PV:
Intendanz kann man weder studieren noch ist das ein Ausbildungsberuf. Wie wird man Intendantin?
BM:
Nach den Festivals wusste ich, dass ich wieder an einem Haus arbeiten wollte.
Das war nicht geplant, ist folgerichtig einfach passiert. Ich habe Theaterwissenschaften studiert um Regisseurin zu werden und mich nach dem Studium als Regieassistentin beworben. Ein Regisseur gab mir den Rat, ich solle eher Dramaturgin werden als Regisseurin. Die Art und Weise wie ich auf die Kunst gucke, so analytisch, sei eher die einer Dramaturgin. So wurde ich Dramaturgin, dann Kuratorin für Tanz, dann über mehrere Jahre Leiterin des Springdance Festivals in Utrecht, dann 2013 künstlerische Leiterin des größten Tanzfestivals hierzulande, Tanz im August. Nach den Festivals wusste ich, dass ich wieder an einem Haus arbeiten wollte. Ich wollte kein Programm mehr gestalten, was in konzentrierten drei Wochen den Höhepunkt des Jahres bildet. Davor oder danach arbeitet man eher im Verborgenen. Man entwickelt die Dinge nicht, sondern kauft sie in der Regel ein. Was mich immer schon interessiert hat, war mit Künstlern in Proben zu sitzen und an der Entwicklung mitzuarbeiten.
PV:
Dann kam das Angebot hier von Düsseldorf?
BM:
Ja, es gab einen Bewerbungsprozess. Ich wurde gescoutet, habe mich hingesetzt und ein Konzept geschrieben. Ich musste einfach für mich selber testen, wie sich das anfühlt, ob mir etwas zur Weiterentwicklung eines Hauses wie dem Tanzhaus NRW einfällt. Am Ende passte es dann für beide Seiten.
PV:
Hattest du im Laufe deiner Arbeit Vorbilder?
BM:
Ja. Eine davon hängt an meiner Pinwand. Das ist Marianne van Kerkhoven. Sie war als Dramaturgin am Kaaitheater in Brüssel tätig. Ich habe sie bewundert, weil ich sie sehr artikuliert fand. Ein zurückgenommener Mensch, der die Künstler in ihrer Entwicklung immer unterstützt hat. Sie war unheimlich belesen, hatte ständig Bücher dabei und ging mit wachen Augen durch die Welt. Stets hatte sie Empfehlungen parat für Bücher, Filme, Ausstellungen, Aufführungen: musst du sehen, musst lesen, musst du anschauen. Nicht in so einem engen Korridor auf die Arbeit gucken, sondern einfach ganz neugierig und sehr zugewandt sein. Mit ihr habe ich auch einmal zusammengearbeitet. Sie ließ mich machen, das war dann großartig. Überhaupt so ein Vertrauen zu kriegen, dass jemand auch mal denkt, du kannst das und jetzt mach auch.
PV:
Du jettest viel durch die Welt. Was suchst und was findest du?
BM:
Das ist ein ganz großes Privileg meines Berufs, dass ich das tun kann. Ich find es wichtig, die eigene Komfortzone zu verlassen, die ich kenne und von der ich weiß wie sie funktioniert. Das rückt die eigene Position, das eigene Arbeiten in einen anderen Zusammenhang. Etwa wenn ich mich hier in Düsseldorf bewege, dann sind wir als Tanzhaus NRW einer der weniger wichtigen der Stadt. Zumindest aus Sicht der Kulturpolitik. Wir gelten immer noch als Institution der freien Szene, chronisch unterfinanziert. Aber als Teil vom European Dancehouse Network sind wir eines der größten und erfolgreichsten Häuser europaweit. Die große Bereicherung für meine Arbeit besteht darin Fragestellungen und Ausdrucksformen kennenzulernen, mit denen sich Künstler auf anderen Kontinenten beschäftigen.
PV:
Ist denn Tanztheater generell etwas was man den Menschen nahe bringen muss? Also stärker als Theater zum Beispiel? Ist das irgendwie sperriger in der Rezeption?
BM:
Was mich immer schon interessiert hat, war mit Künstlern in Proben zu sitzen und an der Entwicklung mitzuarbeiten.
Tanz zieht viele Menschen an. Wir haben überhaupt kein Problem junge Menschen zu finden, die sich für Tanz interessieren. Gerade auch über die ganze Hip-Hop-Kultur. Das hat das Ballett als Einstiegsform in dem Tanz wirklich abgelöst. Aber ich glaube, dass wir hier in Deutschland einfach in einem Sprechtheater-Land leben, das eine große starke, gewachsene Sprechtheater-Tradition hat. Die Stadttheater sind das wichtige kulturelle Erbe. Es gibt in Deutschland nur das Tanzhaus NRW als Theater nur für den Tanz, während es in Frankreich eine ganz breite Infrastruktur an Häusern gibt, die sich nur dem Tanz widmen. Dadurch entsteht ein völlig anderes Umfeld für den Tanz. Insofern sind wir kulturpolitisch gesehen in Deutschland immer einer der besonderen Player, die gerne auch mal marginalisiert werden. International ist das nicht so.
PV:
Was hast du gelernt im Umgang mit den vielen Menschen und den vielen Nationalitäten?
BM:
Wahnsinnig viel. Immer wieder. Was unglaublich wichtig ist, ist die Neugier aufeinander. Zu versuchen, den eigenen Standpunkt in der Wahrnehmung, in der Begegnung zu hinterfragen. Gerade im Umgang mit Künstlern aus anderen kulturellen Kontexten ist das wichtig. Man tendiert immer dazu den eigenen Standpunkt für den Richtigen zu halten. Das ist aber oft nicht so.
PV:
Gibt es denn unter den Tänzern auch Rassismus?
BM:
Das würde ich so nicht sagen. Aber ich glaube schon, dass es so etwas wie Stereotype gibt, mit denen man natürlich umgeht. Zum Beispiel, dass Tänzer auf der Bühne in der Regel junge, weiße, fitte, und schöne Körper haben. Alles das was nicht so gut proportioniert, also ein bisschen dicker oder körperbehindert ist, fällt erstmal aus dem Raster. Ich glaube auch, dass wir da erst in den letzten Jahren ein wachsendes Bewusstsein entwickelt haben, die Besonderheiten von anderen Tänzern zuzulassen. Das ist kein Rassismus im klassischen Sinne, aber es hat etwas mit Ausgrenzung zu tun. Mit unaus-gesprochenen Hierarchien. Da ist die Kunst nicht besser als die Gesellschaft.
PV:
Mit dem, was du hier im Tanzhaus machst, willst du wem gefallen?
BM:
Ich find es wichtig, die eigene Komfortzone zu verlassen.
Unserem Publikum. Absolut. So ein Haus wie unseres ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Das muss Kreise ziehen, das muss relevant sein. Erstmal für die Menschen in der Region, die ganz unmittelbar mit uns zu tun haben. Für die muss so ein Haus wichtig sein, denn sie können Kurse besuchen, Vorstellungen anschauen und an Gesprächsrunden teilnehmen. Für mich ist es wichtig, dass sich so ein Haus in der unmittelbaren Nachbarschaft verankert. Dass es nicht wie ein Ufo in der Stadt ist und nur in einem überregionalen Kunstkontext irgendwie vorkommt, dass wir nicht mit dem Rücken zur Welt arbeiten sondern wirklich hingewandt. Mit einem kritischen Bewusstsein darauf gucken, was gerade passiert und auch dazu Stellung beziehen. Dass machen die Künstler auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Aber für mich ist es auch relevant so etwas wie ein Statement über unsere Zeit abzugeben.
PV:
Werden alle drei Bereiche gleich gut angenommen? Tanzakademie, Tanztheater, Gesprächsrunden?
BM:
Die Akademie funktioniert. Da sind wir total ausgelastet. Wir könnten viel mehr machen, wenn wir mehr Räume hätten. Beim jungen Tanzhaus ist das auch so. Wir haben zehn Partnerschulen hier in der Stadt. Bei unseren Bühnenveranstaltungen merken wir, dass es da unterschiedliche Zugänge gibt. Wir versuchen mit unserem Programm nicht nur „audience pleaser“ zu sein, sondern Künstler einzuladen, die ein Statement zu unserer Zeit abgeben. Ich glaube schon, dass wir in einer Zeit leben, in der das von vielen Menschen als Überforderung wahrgenommen wird, eine Kunst, die sich kritisch einmischt, die nicht nur eine Art Wellness-Angebot für den Feierabend ist.
PV:
Die Auseinandersetzung fordert?
BM:
Ja. Mit deren Thema und Stil man sich als Publikum auseinandersetzen muss. Als Intendantin einer mit öffentlichen Geldern geförderten Institution sehe ich das als unsere Aufgabe an, eine Kunst zu zeigen, die sich auch kritisch mit der eigenen Zeit und Gesellschaft auseinandersetzt. Das darf dann auch mal etwas sperrig sein.
PV:
Genierst du dich, wenn ein Stück überhaupt nicht ankommt?
BM:
Total. Was heißt genieren? Natürlich wünsche ich mir immer volle Säle für die Kunst, für die Künstler. Ich finde, sie verdienen es. Es ist mein Job dafür zu sorgen, dass sie vor einem gut gefüllten Saal spielen und nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wenn das der Fall ist, fange ich an zu schwitzen.
PV:
Wer ist dein Kompass in schwierigen Zeiten?
BM:
Mein Mann. Ich würde sagen, der ist mein allerschärfster Kritiker. Es gibt auch eine Reihe von Kollegen an verschiedenen Theatern, die mich schon mein ganzes Leben begleiten und mit denen ich auch in sehr unterschiedlichen Positionen gearbeitet habe. Die habe ich kennen gelernt als wir alle noch nicht in so wichtigen Positionen waren. Die sagen mir immer noch die Wahrheit.
PV:
Bist du wichtig?
BM:
Interessante Frage. Als Frau würde ich immer dazu tendieren das zu relativieren. Ich bin in einer Machtposition. Ich kann Künstler fördern. Ich kann die Auswahl treffen. Insofern: ja.
PV:
Was würdest du jungen Menschen raten, die sagen, ich will unbedingt zum Tanz?
BM:
Praktische Erfahrung ist ganz wichtig. Heutzutage geht ohne Netzwerke gar nichts. Internationale Erfahrung ist wichtig.
PV:
D.h. Praktika machen oder was heißt das?
BM:
Ja. Ich war zum Beispiel wahnsinnig stolz auf meinen Uni-Abschluss. Aber außer meinen Eltern hat mich nie irgendjemand danach gefragt. Das war das Unwichtigste überhaupt. Aber die Zeit an der Uni war ganz wichtig, weil ich Zeit hatte zu lesen, mir Sachen anzugucken. Ich habe mir da etwas erarbeitet, von dem ich später noch sehr gezehrt habe. Wichtig war, dass ich Praktika gemacht habe, dass ich offensiv auf Leute zugegangen bin. Als ich direkt nach der Uni nicht wusste, wie ich weiter vorgehen soll, habe ich viele Bewerbungen geschrieben. Ich dachte, ich muss Leute kennen lernen. Wie mach ich das. Ich habe gesagt, ok, ich schreibe ein Buch, für das ich ganz viele Leute interviewen musste. Das war meine Eintrittskarte, um die ganzen Chef-Dramaturgen kennen zu lernen. Man muss erfinderisch sein.
PV:
Und mutig?
BM:
Ja und sich nicht unterkriegen lassen. Rückschläge gehören absolut dazu. Die darf man nicht persönlich nehmen.
PV:
Wo liegt für dich heute die Leidenschaft beim Thema Tanz? Was treibt dich an?
BM:
Ich war damals Ballettschülerin und habe mit Pina Bausch etwas gesehen, was ich überhaupt nicht einordnen konnte.
Ich finde, der menschliche Körper ist einfach total faszinierend mit all seinen Bewegungsmöglichkeiten. Man könnte auch denken, ich habe schon alles gesehen. Aber es gibt immer noch Produktionen, wo jemand etwas erfindet, eine Art sich zu bewegen, sich aufeinander zu zu bewegen, wo ich Gänsehaut kriege, weil ich denke, das habe ich noch nie gesehen. Das ist immer noch ein großes Faszinosum. Ich finde, dass wir jetzt gerade in so einer Zeit sind, mit all den neuen Technologien, wo die Frage, was ist eigentlich ein Körper, noch mal substantiell neu beantwortet werden kann. Zum Beispiel Prothesen, die zunehmend in unsere Körper hineinwachsen, also vom Fernrohr, zur Brille, zur Kontaktlinse, zum Implantat. Wir haben bei uns im Tanzhaus NRW einen Kurs für Menschen mit Parkinson. Auch da gibt es verschiedene Arten der Therapie. Vom Körpertraining zur medikamentösen Behandlung, auch zum Implantat. Solche Technologien wandern verstärkt in unsere Körper, obwohl wir noch gar nicht wissen, was das mit uns macht. Auf der anderen Seite kann man einen Prozess von Gewöhnung beobachten. Heute würde keiner mehr sagen, dass jemand, der einen Herzschrittmacher hat, ein Cyborg ist. Vor 50 Jahren war das noch nicht selbstverständlich. Oder dieser gesamte Bereich der Techno-Fashion. Was sind die Stoffe mit denen wir unsere Haut umgeben? Wird das in zehn Jahren noch Baumwolle sein oder ist das ein Gewebe mit dem wir unser Handy aufladen können. Ich war in einer Ausstellung, wo junge Modemacher mit Kleidung experimentiert haben, die die Emotionen verstärkt haben. Wenn du erregt bist, wird das rot und stellt sich auf wie bei einem Insekt etc. Finde ich total faszinierend.
PV:
Für den Ausdruck?
BM:
Ja. Was bedeutet das? Einen Körper zu haben, im Körper zu sein, was heißt das im 21. Jahrhundert? Da sind wir gerade an einem unglaublich interessanten Punkt, an dem wirklich sehr viel passiert.
PV:
Vielen Dank, Bettina, für das Gespräch.
http://tanzhaus-nrw.de/


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